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Meinung: Love Parade: Eine normale Bewegung

Das Bild könnte sinnfälliger kaum gewählt sein. Wenn heute die Love Parade durch Berlin zieht, werden zehn Tänzer dabei sein, die die plastinierten Leichname der "Körperwelten"-Ausstellung darstellen - einerseits definitives Symbol der Parade als sinnentleertes Hochamt des Oberflächenreizes, andererseits eine Art Erklärung in eigener Sache: Mit uns geht es allmählich zu Ende.

Das Bild könnte sinnfälliger kaum gewählt sein. Wenn heute die Love Parade durch Berlin zieht, werden zehn Tänzer dabei sein, die die plastinierten Leichname der "Körperwelten"-Ausstellung darstellen - einerseits definitives Symbol der Parade als sinnentleertes Hochamt des Oberflächenreizes, andererseits eine Art Erklärung in eigener Sache: Mit uns geht es allmählich zu Ende.

Tatsächlich spricht viel dafür, dass die Love Parade ihren Gipfel spätestens im Jahr 2000 überschritten hat und heute den ersten großen Schritt zu ihrem Niedergang vollzieht. Die kommerzfeindliche Subkultur, die das Spektakel einst aus der Taufe hob, hat sich angesichts dessen unaufhaltsamer Kommerzialisierung abgewandt, die prominenten Musiker und DJs - Sven Väth, Marusha - sind ihnen gefolgt, und vor allem haben die unglücklichen Veranstalter katastrophal falsch taktiert. Die Folgen sind bekannt: Das Hickhack um die Termine hat potenzielle Besucher verschreckt, und der rechtlich labile, von den Behörden geduldete Status der Veranstaltung als politische Demonstration ist verloren.

Zum Thema Online Spezial: Love Parade TED: Hat die Love Parade noch Kultcharakter? Dennoch ist dies nicht die letzte Love Parade, nicht einmal eine der letzten. Es ist richtig, dass sich ihre Symbolkraft erschöpft, ihr libertinärer Charme verbraucht hat, doch das ließe sich auch über den rheinischen Karneval und das Münchener Oktoberfest sagen, Veranstaltungen, deren Lebenskraft nie erlöschen wird. Gehört die Love Parade in diese Nachbarschaft? Immerhin hat sie der Welt die Bilder geliefert, die entscheidend waren für das Image des neuen Berlins. Friedlich feiernde Millionen, dazu Musik und Sex, das nahm man draußen als das endgültige Ende von Militäraufmärschen und Riefenstahl-Inszenierungen. Zumal es eben nicht inszeniert, sondern einer Reihe von Zufällen entsprungen war, die mit der Präzision eines nuklearen Sprengsatzes ineinandergriffen: Da war die enorme Anziehungskraft Berlins auf junge Menschen in der ganzen Welt; die Entäußerlichung der Kultur, die sich in Stadionkonzerten und im Massenandrang bei "langen Nächten" in sonst leeren Museen widerspiegelt; das zeittypische Zusammenspiel von Exhibitionismus und Voyeurimus, das der Parade gleichermaßen Akteure wie Gaffer zuführte; schließlich die allgegenwärtige Politikverdrossenheit, die Parolen wie "Friede, Freude, Eierkuchen" wie ernsthafte politische Positionen aussehen ließ. Irgendwie ging plötzlich alles zusammen: Man durfte unter Polizeischutz Woodstock spielen, durfte in Maßen Drogen nehmen, durfte gegen jede bürgerliche Konvention verstoßen - und das alles mit dem offenen oder zumindest klammheimlichen Segen des Staates. Denn der Staat spielte ja mit, rechnete sogar alljährlich lustvoll aus, was in seinen Kassen hängenbleiben würde vom großen Auftrieb.

Die tollen Jahre der Love Parade waren auch die Jahre der viel beschworenen Spaßgesellschaft: Hedonismus als Lebensprinzip, Lust am apolitischen Klamauk in immer neuen TV-Shows, Popularisierung von Pornographie und Sado-Maso-Ritualen. Es ist offensichtlich, dass diese Welle ihren Höhepunkt überschritten hat, misst man sie in Einschaltquoten; und es ist möglich, dass nun eine Renaissance der Politik folgt, deren Vorboten die enormen Proteste gegen die Globalisierung und ihre Instanzen sein mögen. Doch das sind nur die kurzen Wellen über einer langfristigen Entwicklung, deren Weg nicht zurück führt zu Sittenstrenge und verhüllten Brüsten, jedenfalls nicht in westlichen Demokratien. Eher läuft es wohl darauf hinaus, dass sich der Berliner Oberbürgermeister des Jahres 2020 die Nase piercen lässt und das Tempo der Senatssitzung mit kleinen Ecstasy-Gaben steigert, ohne damit besonderes Aufsehen zu erregen.

Nicht viel wird überleben vom gegenwärtigen Boom der exhibitionistischen Aufmärsche. Fuck Parade, Carneval Erotica - geschenkt. Aber die Love Parade bleibt, wenn Berlin es will. Domestiziert, mit einer klaren Kostenregelung, ein paar Schritte weg vom Grün des Tiergartens und besser organisiert. Sagen wir: als Geschäftsbereich des Unterhaltungskonzerns von Peter Schwenkow. Das wird zwar die letzten Reste der Subkultur verschrecken, aber der Welt die gleichen Bilder liefern. Und für ein paar lebende Leichen ist dabei auch noch Platz.

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