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Meinung: Macht Deutschland Ausländern die Einreise zu schwer?

Unser Leser Ahmet E. Cakir sagt, kaum ein Land stellt bei der Vergabe von Visa so viele Hürden auf wie Deutschland.Kerstin Müller meint: Die Visapolitik der Bundesregierung bedarf dringend einer Kurskorrektur.

„Rein kommt nur, wer auch wieder geht / Erstmals gibt es Daten über die Visavergabe in deutschen Konsulaten – abgelehnt werden vor allem Türken und Afrikaner“ von Ferda Ataman vom 25. Juli

Dieser Artikel beschreibt einen eigentlich unbeschreiblichen Zustand, der u. a. dazu geführt hat, dass meine Mutter seit mehr als zwei Jahrzehnten ihre Familie in Deutschland nicht mehr besucht, zwei Söhne, zwei Schwiegertöchter, fünf Enkelkinder und zwei Urenkelinnen, allesamt Bürger der Bundesrepublik Deutschland. Man hat sie vor ihrem letzten Besuch derart schlimm behandelt, dass sie nie wieder hierherkommen möchte. Die Liste der verlangten Nachweise für ihre „Rückkehrbereitschaft“ las sich wie eine Schikane. Wie sieht es heute aus?

Meiner in der Türkei lebenden Nichte wurde vor einigen Wochen eine Liste der für die Visaerteilung notwendigen Unterlagen ausgehändigt. Sie umfasst nicht nur 30 Posten, die ich nicht übersetzen möchte, sondern noch einen 31. Dieser besagt, dass das Konsulat ggf. zusätzliche Unterlagen anfordern kann und dass diese ggf. im Original oder notariell beglaubigt vorgelegt werden müssen. Man kann also beliebig viele Unterlagen anfordern, nur um ein Besuchsvisum auszustellen. Ein Visum darf man nur persönlich beantragen. Auch meine Nichte wird vermutlich nie wieder nach Deutschland kommen. Es gibt mehr als 150 Länder, die nur die Vorlage eines Passes an der Grenze verlangen, manche nicht einmal das.

Ich kenne die Visapraxis von mehreren Dutzend Ländern, darunter von solchen wie China oder Saudi-Arabien, die sehr restriktiv handeln. Gegen die deutsche Praxis sind deren Formalitäten eine Lappalie.

Jetzt sinniert die Bundeskanzlerin über Visaerleichterungen für Künstler. Die Arme hat keine Ahnung davon, was eine deutsche Behörde für Nachweise darüber verlangen kann, dass man ein Künstler ist.

Dr. Ahmet E. Cakir, Berlin-Westend

Sehr geehrter Herr Dr. Cakir,

sie legen Ihren Finger in die Wunde der deutschen Visapolitik, deren Fehlentwicklungen Bündnis 90/Die Grünen immer wieder entschieden kritisiert haben.

Die von Ihnen beschriebenen Fehlentwicklungen, gerade bei der Vergabe von Besuchervisa sind auch ein Ergebnis der völlig überzogenen Visakampagne des konservativen Lagers als Reaktion auf die Fehler im Visaverfahren in der rot-grünen Regierung. Die Visapraxis dient heute wieder primär der Abschreckung und Abschottung Deutschlands und ist damit das Gegenteil dessen, was für eine Exportnation in einer globalisierten Welt eigentlich angemessen wäre, die heute auf ausländische Fachkräfte angewiesen ist. Das Verhalten der Bundeskanzlerin in der aktuellen Debatte ist angesichts dessen entweder komplett ahnungslos oder ignorant gegenüber den Betroffenen. Die aktuelle Vergabepraxis verkennt völlig die Konsequenzen für die Attraktivität, den zivilgesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Austausch, aber auch für die verfassungsrechtlichen und menschenrechtlichen Pflichten Deutschlands.

Immer häufiger wenden sich auch an mich Antragsteller oder stellvertretend für sie engagierte deutsche Bürger, die Probleme bei der Visaerteilung haben. Erst jüngst bat mich eine Bürgerin aus Lohmar um Hilfe. Sie hat eine Kosovarin eingeladen, die sich trotz Verpflichtungserklärung einer nicht enden wollenden Überprüfungsprozedur hilflos ausgeliefert sieht. Andere Fälle betreffen immer wieder Besucher aus Afrika, die zu Konferenzen, Kultur- oder Sportveranstaltungen eingeladen werden. Dass die Bundesregierung sich wiederholt zu einem wissenschaftlichen und kulturellen Austausch mit Staaten Afrikas verpflichtet hat, spielt bei der Entscheidungsfindung offenbar keine Rolle.

Viele dieser Menschen nehmen es zu Recht als Schikane und Demütigung wahr, wenn ihnen Mitarbeiter in den Konsulaten teils respektlos entgegentreten, willkürlich anmutende Anforderungen stellen und die Verfahren oft ohne nachvollziehbar Gründe mit „Nicht bewilligt“ beenden. Die Folge: Sie wenden sich enttäuscht von Deutschland ab. In der Tat ist oft die pauschal restriktive Prüfung des Kriteriums der Rückkehrbereitschaft ausschlaggebend. Selbst der Leiter der Adoptionsbehörde aus Mali erhielt erst nach langem Ringen und meiner Intervention ein Besuchervisum.

Auch hunderte Beschwerden beim Petitionsausschuss des Bundestages über die Visavergabepraxis verfestigen diesen Eindruck. Menschen können an der Hochzeitsfeier ihrer Kinder nicht teilnehmen, weil das Auswärtige Amt an ihrer Rückkehrbereitschaft zweifelt. Oft wird als Grund pauschal die finanzielle Schwäche der Antragstellenden genannt. Dass dies kein hinreichendes Kriterium ist, sagte jüngst das Berliner Verwaltungsgericht. Es urteilte, dass das verfassungsrechtlich geschützte Recht auf Familienleben bei der Erteilung eines Besuchervisums Vorrang vor etwaigen Zweifeln an der Rückkehrbereitschaft haben müsse.

Bei bedrohten Menschenrechtsaktivisten in Ländern mit Unrechtsregimen ist jedenfalls kein Platz für eine solche Prüfung. Hier ist die schnelle, unbürokratische Erteilung eines Besuchervisums überlebenswichtig.

Die Visapolitik der Bundesregierung bedarf dringend einer Kurskorrektur. Das Kriterium der Rückkehrbereitschaft gehört auf den Prüfstand. Sicherlich, steuernde Verfahrenskriterien sind wichtig, doch dürfen sie Deutschlands Interessen nicht schaden.

Mit freundlichen Grüßen

— Kerstin Müller, Grüne außenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion. Von 2002 bis 2005 Staatsministerin im Auswärtigen Amt.

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