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Meinung: Maja summt nicht mehr

Ein mysteriöses Bienensterben bedroht die Landwirtschaft

Alexander S. Kekulé Manche Plagegeister gewinnt man gerade dann lieb, wenn sie verschwinden. Im Frühling steht eigentlich die Warnung vor gefährlichen Insektenstichen und Allergien auf dem Ratgeberkalender der Ärzte und Apotheken. Oberster Picknickschreck ist die Biene, das gefährlichste Tier in Mitteleuropa und Nordamerika – der allergische Schock nach Bienenstichen ist hier die häufigste durch Tiere verursachte Todesart. Doch in diesem Jahr ist es der Plagegeist selbst, der zur Sorge Anlass gibt: Ein mysteriöses Massensterben rafft in den USA und Europa die Honigbienen dahin.

Seit vergangenem Oktober verschwanden in vielen US-Bundesstaaten 30 bis 60 Prozent, an der Ostküste und in Texas sogar über 70 Prozent der Bienenvölker. In abgeschwächter Form, mit Verlusten um 25 Prozent, wird das Phänomen auch in Deutschland, Frankreich, Polen, Spanien und der Schweiz beobachtet.

Dass 10 bis 20 Prozent der Bienenvölker den Winter nicht überleben, gilt als normal. Doch diesmal sind Imker und Entomologen durch einen merkwürdigen Umstand alarmiert: Die Bienen liegen nicht etwa tot im Stock und dessen Umgebung – sondern sie verschwinden einfach spurlos. Einige Wochen vor dem unheimlichen Exodus sind die Tiere oft unruhig und fliegen desorientiert umher. Dann kommen eines Tages die Arbeitsbienen nicht mehr nachHause, die zurückgebliebenen Jungtiere und die Königin müssen verhungern.

Die Ursache der „Colony Collapse Disorder“ (CCD) genannten Krankheit ist unbekannt. Fest steht nur, dass betroffene Kolonien von diversen Infektionserregern befallen sind. Insbesondere die bei Imkern gefürchtete Milbe Varroa destructor macht sich im verendenden Bienenstock breit. Der Parasit nistet sich in den Brutkammern ein und ernährt sich vom Insektenblut (Hämolymphe) der Larven. Auch kann die Milbe Viren übertragen, die den geschwächten Bienen weiter zusetzen. Ursache für den Milben- und Virenbefall ist offenbar eine Schwächung des Immunsystems – doch wodurch wird das „Aids der Bienen“ ausgelöst?

Wie immer, wenn eine neue Krankheit die Gemüter beunruhigt, sprießen Spekulationen über deren Ursache wie Unkraut. Allen voran werden die üblichen Verdächtigen beschuldigt: Klimawandel, Umweltverschmutzung, Gentechnik, Insektizide und – seit neuestem – Handystrahlung.

Bewiesen ist allerdings nichts davon. Die Erderwärmung kann es diesmal nicht sein, weil klimatisch so unterschiedliche Zonen wie Kalifornien und die Schweiz betroffen sind. Genmanipulierte Pflanzen wie der in den USA verbreitete Bt-Mais müssten zu chronischen Vergiftungserscheinungen führen, die bislang nicht festgestellt wurden. Unter den Insektenschutzmitteln werden Imidacloprid (Gaucho) und Fipronil (Regent) verdächtigt. Doch CCD kommt auch in Regionen vor, wo es diese Mittel gar nicht gibt. Zudem sterben die Bienen auch in Frankreich, obwohl die beiden Insektizide dort seit 2004 nicht mehr verkauft werden.

Auch die Handystrahlung dürfte wie zuvor bei Alzheimer und Krebs in Sachen Bienentod wieder mit einem Freispruch davonkommen. Nach Aussage einer Arbeitsgruppe der Universität Koblenz-Landau scheinen elektromagnetische Wellen zwar das Ortungssystem von Honigbienen zu beeinflussen. Denkbar wäre, dass die Pulsfrequenz der GSM-Handys von 217 Hz die im selben Frequenzbereich liegenden Tanzbewegungen der Bienen stört. Doch gibt es Mobilfunkmasten schon seit den 80er Jahren, und das Bienensterben ist in ihrer Nähe genauso häufig wie in abgelegenen Gegenden ohne Elektrosmog.

Wie die Gefahr für die Honigbiene abgewendet werden kann, ist deshalb noch vollkommen unklar. Die Rettungsaktion ist auch für den Menschen überlebenswichtig: Etwa ein Drittel seiner gesamten Nahrung hängt von den fleißigen Insekten ab. Sie bestäuben rund 90 Prozent des Obstes, einen Großteil des Gemüses und auch zahlreiche Futterpflanzen für Nutztiere. Bienen mögen lästige Plagegeister sein – aber ohne sie fließen weder Milch noch Honig.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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