zum Hauptinhalt

Meinung: Majestät thront über Belfast

Von Martin Alioth Fähnchen sind nicht immer harmlos. Die loyalen Untertanen ihrer britannischen Majestät sind nirgendwo loyaler als in Nordirland.

Von Martin Alioth

Fähnchen sind nicht immer harmlos. Die loyalen Untertanen ihrer britannischen Majestät sind nirgendwo loyaler als in Nordirland. Sie lassen sich die Gelegenheit nicht entgehen, besonders viele britische Fähnchen aufzuhängen und die Rinnsteine frisch in den Landesfarben zu bepinseln. Doch die Absicht ist mitnichten patriotisch; vielmehr sollen die katholischen Nachbarn provoziert werden, die sich der britischen Krone schon immer widerwillig gefügt haben. In jenen Wohngegenden, wo Katholiken und Protestanten durch zehn Meter hohe Mauern voneinander getrennt sind, ergibt sich dann leicht ein klaustrophobisches Gefühl. Und nun füge man dieser Ausgangslage noch vier schul- und arbeitsfreie Tage hinzu, frühe Fußballspiele verkürzen alkoholfreie Zeiten, und ein gefährlicher Cocktail wird gemischt. Die dubiosen Untergrundverbände beider Seiten fügen ihrerseits eifrig scharfe Ingredienzen hinzu, um ihre fortdauernde Unentbehrlichkeit unter Beweis zu stellen. Neuerdings schrecken sie selbst bei kommunalen Krawallen nicht davor zurück, ihre ansonsten unbenutzten Schießeisen einzusetzen. Es hat keinen Sinn, sich Illusionen zu machen: Die Spannungen an der nordirischen Basis sind im Verlaufe des inzwischen acht Jahre alten Friedensprozesses größer geworden, nicht geringer. Diese Beobachtung trifft längst nicht auf ganz Nordirland zu, aber dort, wo die Wohngegenden der Unterschichten aufeinander stoßen, hat der überaus erfolgreiche Aufbau gemeinsamer Behörden für Nordirland keine Entspannung gebracht.

Die hässlichen Szenen in Nordbelfast, wo die katholischen Schülerinnen der Heiligkreuzschule täglich von ihren protestantischen Nachbarn schikaniert wurden, illustrieren die Malaise zur Genüge. Ein von der Regierungsspitze Nordirlands vorgeschlagener Kompromiss wurde letzte Woche von katholischer Seite verworfen, weil man keine zusätzliche Mauer wünschte.

Nordirland bleibt ein Modell für den raffinierten Ausgleich zwischen widersprüchlichen Identitäten auf institutioneller Ebene, aber es ist nicht gelungen, die Segnungen dieser Konstruktion an die Basis zu vermitteln. Dort empfinden ntlich die Protestanten, dass sie stets den Kürzeren ziehen. Die Aussicht, am Mittwochabend den ersten Belfaster Bürgermeister von der IRA-nahen Sinn-Fein-Partei zu kriegen, bestätigt diese Wahrnehmung nur noch.

Es ist wie der Fluch der bösen Tat: Jahrzehntelang suggerierten die protestantischen Führungsschichten ihren ärmeren Konfessionsgenossen, sie seien privilegiert. Die Gleichbehandlung von Katholiken – so die unausgesprochene Doktrin – sei nur auf Kosten der protestantischen Arbeiterklasse möglich. Solch bösartiger Unsinn gewährleistete den protestantischen Schulterschluss quer über alle Klassengrenzen hinweg. Und jetzt, wo dieser Schicht die Zügel der Macht längst entglitten sind, läßt sich jene Mentalität, die sich in den Kategorien des Nullsummenspiels am wohlsten fühlt, nicht mehr ausrotten. Guter Rat ist teuer –und die im Umbruch befindliche Polizei Nordirlands wahrlich nicht zu beneiden.

SEITE 7

NAME

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false