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Manipulierte Wahl in Russland: Nur Besorgnis äußern reicht nicht

Noch nie wurden in Russland so viele Fälle von Wahlbetrug dokumentiert wie bei diesen Parlamentswahlen. Trotzdem fiel das Ergebnis für Putins Partei vernichtend aus. Doch nicht nur ihm sollte diese Wahl zu Denken geben.

Zwanzig Jahre nach dem Ende der Sowjetunion haben in Russland wieder politische Witze Konjunktur. „Putin hat seine Kandidatur bei der Präsidentenwahl zurückgezogen“ – so beginnt ein Witz, der derzeit gern in Moskau erzählt wird. „Die Krönung ist nächsten Sonntag.“ Wenn man ohnehin keinen Einfluss auf die politische Führung hat, will man wenigstens über sie lachen; das gilt auch im Russland Wladimir Putins. Dessen „gelenkte Demokratie“ hat am Sonntag ihr wahres Gesicht gezeigt. So massiv waren bei dieser Parlamentswahl die Manipulationen und die Einschüchterungen echter oder vermeintlicher Gegner, dass von Demokratie keine Rede mehr sein kann. In Russland wird gewählt, und am Ende gewinnt immer die Partei – nach diesem Prinzip verliefen bereits sowjetische „Wahlen“. Mit aller Macht sollte diesmal der Weg für Putins Rückkehr in den Kreml geebnet werden, die mit der Präsidentenwahl im März nur noch pro forma vollzogen werden soll.

Doch diesmal musste der Machtapparat mehr Mühe auf die Manipulation verwenden als je zuvor seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Gleichzeitig wird es immer schwerer, die Fälschungen zu verbergen: So umfassend wie in diesem Jahr wurden bisher bei keiner Wahl in Russland Unregelmäßigkeiten dokumentiert, und im Zeitalter von Twitter und Youtube verbreiten sich Berichte aus entlegenen Winkeln des Landes schnell weltweit. Das ist ein kleiner Sieg für die Zivilgesellschaft. Die russische Führung reagierte darauf nach allzu bekanntem Muster: Unabhängige Wahlbeobachter wurden schikaniert, die Webseiten kritischer Medien per Cyber-Angriff vom Netz genommen.

Doch paradoxerweise machten gerade die massiven Fälschungen und Repressionen sichtbar, dass sich die Bürger nicht mehr so leicht lenken lassen: Putins „gelenkte Demokratie“ stieß am Sonntag vor aller Augen an ihre Grenzen. Denn trotz der verbissenen Bemühungen, mit allen Mitteln Wahlzettel für Einiges Russland zu sammeln, gelang es den Machthabern nicht, die schweren Verluste für die Staatspartei zu verhindern – oder auch nur zu verbergen. Wenn Putin in den Kreml einzieht, hat seine Partei keine verfassungsändernde Mehrheit in der Duma mehr. Jeder zweite Wähler stimmte gegen Einiges Russland, das angesichts der Korruption im Land von einem Blogger als „Partei der Gauner und Diebe“ verunglimpft wurde. Der Name blieb hängen.

Dennoch war der Wahltag noch nicht der Anfang vom Ende der Ära Putin. Die Staatspartei hat die absolute Mehrheit der Sitze in der Duma. Eine wirklich demokratische, liberale Partei ist im Parlament nicht vertreten. Nichts spricht dafür, dass nun die geplante Rückkehr Putins in den Kreml in Gefahr ist. Putin hat vor der Wahl vorgesorgt und Medwedew zum Spitzenkandidaten gemacht. Dass das Ergebnis weit unter den Erwartungen blieb, kann er notfalls Medwedew anlasten und einen anderen zum Premier ernennen. Die Opposition hat sich nicht auf einen gemeinsamen Gegenkandidaten für die Präsidentenwahl verständigen können. Und so wird wohl fast alles beim Alten bleiben in Putins Russland. Bei der Präsidentenwahl in drei Monaten sind neue Manipulationen und neue Repressionen gegen Wahlbeobachter, Journalisten und Oppositionelle zu befürchten.

Daher müssen sich Deutschland und die Europäische Union fragen lassen, wie sie auf Russlands Abkehr von der Demokratie reagieren. Als der Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft kürzlich bei einem Besuch in Moskau Putin praktisch zur gewonnenen Präsidentenwahl gratulierte, setzte er ein fatales Signal. Die Bundesregierung erklärte am Montag, sie sei „sehr besorgt“ angesichts der Manipulationsvorwürfe. Die Europäische Union, die sich mit einer einheitlichen Russlandpolitik schwertut, sollte klarstellen, dass es eine strategische Partnerschaft mit Russland nur geben kann, wenn Moskau demokratische Mindeststandards einhält. Wenn Europa wieder einmal nur Besorgnis äußert und danach zur Tagesordnung übergeht, wäre das für die russische Zivilgesellschaft und die Opposition eine bittere Enttäuschung. Mit Russland darf die EU die in Ägypten und Libyen gemachten Fehler nicht wiederholen.

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