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Illegale Handlung? Mitnichten. Steigerung des Bruttoinlandsprodukts!

© DPA

Martenstein über das Bruttoinlandsprodukt: Danke den Dealern und Zuhältern

Das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland steigt. Nicht zuletzt dank der Milliarden von Euro, die über Drogen, Schmuggel und Prostitution reinkommen.

Immer, wenn das Bezirksparlament Friedrichshain-Kreuzberg sich eine Weile ruhig verhält, frage ich mich: Was macht eigentlich die EU so zurzeit? In ein paar Wochen wird ja das europäische Parlament neu gewählt. Interessanteste Europanachricht der Woche: Ab September steigt in allen 28 Staaten der Europäischen Union das Bruttoinlandsprodukt, abgekürzt BIP, ein Index für den Wohlstand. Laut Statistischem Bundesamt wird Deutschland demnächst um drei Prozent wohlhabender. Über Nacht. Das BIP misst den Wert aller Waren und Dienstleistungen, die in einem Land produziert werden.

Dieser wirtschaftspolitische Erfolg wird durch eine einfache Verwaltungsmaßnahme erzielt. Demnächst werden, neben den Ausgaben für Forschung, auch der Drogenhandel und der Schmuggel dem Bruttoinlandsprodukt zugerechnet. Drogenhandel und Schmuggel sind eindeutig Wirtschaftszweige, da entstehen zweifellos Werte. Bereits seit einigen Jahren wird übrigens auch die Prostitution im BIP erfasst. Im Wirtschaftsteil einer Zeitung war zu lesen, dass die Wertschöpfung der Prostitution in Deutschland, nach Abzug der Kosten für Schutzgelder, Zuhälter, Kondome und ähnliches, auf sieben Milliarden Euro geschätzt wird.

Warum macht die EU das? Ansonsten tut sie immer so moralisch

Man kann diese Zahlen nur schätzen. Vor allem Dealer geben in den seltensten Fällen eine korrekte Steuererklärung ab. Man weiß, wie viel Koks den Fahndern in die Hände fällt. Wie viel Koks tatsächlich beim Verbraucher landet und eine Wertschöpfung darstellt, weiß niemand. Für die EU ist das eher gut, glaube ich. Die frei Schnauze geschätzten Einnahmen der Dealer, der Schmuggler und der Bordelle sind eine kleine Stellschraube, an der man jederzeit drehen kann, damit die Statistik noch schöner aussieht und die EU noch besser dasteht. Und wenn es der Wirtschaft mal mies geht, ist doch die Annahme total realistisch, dass die verzweifelten Menschen mehr Drogen konsumieren und mehr geschmuggelte Zigaretten rauchen, sie prostituieren sich dann auch eher mal ein bisschen.

Unser Autor Harald Martenstein.
Unser Autor Harald Martenstein.

© ddp

Trotzdem habe ich mich gefragt: Warum macht die EU das? Ansonsten tut die EU doch immer so moralisch. Ein Ökonom hat mir erklärt, dass sich auf diese Weise die Staatsverschuldung reduzieren lässt. Je höher das BIP, desto niedriger die Schuldenquote, weil sie immer in Bezug zum BIP angegeben wird. Wenn also im nächsten Wahlkampf sich die Regierung lobt, dafür, dass sie den Wohlstand erhöht und die Schulden in den Griff bekommen hat, dann wissen wir: Einen Teil der Erfolge verdanken wir unseren emsigen Zuhältern, den nimmermüden Dealern vom Görlitzer Park, den engagierten Rolex-Imitat-Schmugglern und, vor allem, den genialen Statistikern. Sie sind die heimlichen Helden unserer Volkswirtschaft.

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