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Meinung: Matte Partie

Schachcomputer haben das Spiel verdorben

Alexander S. Kekulé Zehn hoch Vierzig Möglichkeiten hätte es gegeben, so viel wie die Zahl der Sterne zum Quadrat. Doch bei der SchachWM im schweizerischen Brissago spielten Wladimir Kramnik und Peter Leko 14 meist gähnend langweilige Partien. Die Gegner spielten Eröffnungen aus dem Lehrbuch und schüttelten sich dann, kaum hatte das Spiel richtig begonnen, die Hände zum Remis. Am Sonntag trennten sich der russische Weltmeister und sein ungarischer Herausforderer schließlich mit einem matten 7:7. Nach dem Reglement darf „Eisberg“ Kramnik damit den Titel behalten, das Preisgeld von einer Million Schweizer Franken wird geteilt.

Schach-Enthusiasten erinnern sich wehmütig an dramatische Duelle vergangener Zeiten, etwa die WM-Partien Spassky-Fischer oder Karpow-Kasparow, wo ein genialer Zug den anderen jagte. Die Schachtitanen von damals waren Individualisten mit unverkennbarem Stil, jede Partie eine neue Erfindung mit eigener Dramaturgie.

Schuld an der Gleichförmigkeit der heutigen Spiele ist einer, der in naher Zukunft Weltmeister sein und es dann für immer bleiben wird: Der Computer. Spannende Schachpartien handeln von List und Kampfgeist, von Fehlern und deren Wiedergutmachung. Diese menschlichen Regungen, bei denen das Publikum mitfiebern kann wie bei einem Boxkampf, sind Elektronenhirnen fremd. Stattdessen rechnen sie kaltblütig Kombinationen durch, bewerten die Ergebnisse und machen dann den Zug mit der höchsten Punktzahl. Programme wie Deep Fritz analysieren pro Sekunde mehr als drei Millionen Züge, zusätzlich haben sie historische Partien gespeichert.

Seit der legendäre IBM-Schachcomputer Deep Blue 1997 Weltmeister Kasparow besiegte, haben die Schachgrößen ihren Stil geändert. Weil die Maschine selbst den kleinsten Fehler entdeckt, wird Mut zum Risiko fast immer bestraft. Eines Tages wird es ein Programm geben, mit dem – ähnlich wie bei Mühle – Weiß immer gewinnt, weil es keinen Fehler mehr macht. Von dieser „Lösung“ des Problems sind Computer zum Glück weit entfernt: Derzeit können sie nur das Endspiel mit maximal sechs Figuren hundertprozentig berechnen. Menschlichen Schachspielern muten diese mathematischen Endspiele unverständlich und unendlich langweilig an.

Trotzdem haben Spitzenspieler keine Chance, wenn sie nicht regelmäßig gegen den Computer trainieren. Dadurch kommen Talente wie der 25-jährige Leko schnell zu Spielstärken, die sonst nur durch langjährige Erfahrung erreichbar sind. In Brissago sah es bis vor dem letzten Spiel so aus, als würde der Ungar den Weltmeister Kramnik vom Thron stoßen. Doch am Sonntag wurde es noch spannend: Der in die Enge gedrängte „Eisberg“ taute auf und antwortete auf Lekos „Caro-Kann-Verteidigung“ nicht mit einem der gängigen Schemata, sondern mit einer selten gespielten Variante. Zuletzt warf er seinen König mutig in die Schlacht – und gewann. Angesichts des Todes entwickelt der Mensch manchmal Fähigkeiten, von denen die Maschine nicht einmal träumen kann.

Der Autor ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie an der Universität Halle.Foto: J. Peyer

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