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Meinung: Matter Mittler

CHATAMIS RÜCKTRITTSANGEBOT

Sechs Jahre lang hat Mohammed Chatami versucht, zwischen zwei widerstrebenden Kräften zu vermitteln: Auf der einen Seite verlangen eine junge Gesellschaft und ungeduldige Studenten Reformen und Freiheit, auf der andern blockiert der Machtblock der Mullahs alle Versuche, seinen Einfluss zu beschneiden. Nun scheint es, als sei der iranische Präsident zermürbt von einer Rolle, in der er mit seinem Kurs der vorsichtigen Öffnung auf beiden Seiten viel Misstrauen und Enttäuschung provoziert hat. Chatami bietet seinen Rücktritt an, weil der unbewegliche Wächterrat wieder einen Versuch abgeblockt hat, sein Veto gegen das Ergebnis freier Wahlen zu schleifen. Bei den demonstrierenden Studenten und manchen Intellektuellen gilt der Präsident inzwischen als ein Verrräter, der die Hoffnungen des Volks getäuscht und mutige Schritte versäumt hat. Das macht viele ungeduldig. Zwar rufen Einzelne schon nach einer Befreiung durch USTruppen wie im Nachbarland Irak. Doch die meisten Iraner verlangen Reformen und mehr Freiheiten, einen Umsturz oder gar eine US-Invasion wollen sie keinesfalls. Trotz langer Haftstrafen gegen Reformer, trotz brutaler Revolutionswächter, trotz vieler Zeitungsverbote ist der Iran heute eine relativ offene Gesellschaft. Die Bevölkerung ist jung, der Druck auch nach wirtschaftlicher Liberalisierung wächst. Vielleicht gibt es eine personelle Alternative zu Chatami. Eine wirkliche Alternative zu seinem Versuch des Ausgleichs zwischen den Beharrungskräften und dem Drängen nach Freiheit ist nirgendwo in Sicht. Und die Zeit arbeitet im Iran nicht für die Mullahs, sondern für die Reformer. hmt

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