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Matthies meint: Die letzte nackte Blonde auf der Titelseite

Das Seite-1-Girl der Bild-Zeitung ist am Frauentag von der Titelseite verschwunden. Auf Nacktheit im Blatt verzichtet die Zeitung aber trotzdem nicht - und folgt damit einem modernen und auflagenträchtigen Rezept. Könnte man meinen.

Wäre das die „Bild“-Zeitung, dann würde exakt hier ein Foto einer jungen Dame stehen, busenfrei und auch sonst sehr leicht bekleidet – ein, wie man in der busenfreien Szene sagt, „Seite-1-Girl“. Dazu das übliche Datenblatt, Alter 23, Maße 88-60-88, sexuelle Erfahrungen: aber hallo, Traum: Weltfrieden.

Sie lesen vermutlich keine „Bild“-Zeitung, sonst wären Sie nicht hier, aber laufen Sie jetzt bitte nicht zum Kiosk. Denn am Freitag ist das Seite-1-Girl zum letzten Mal erschienen. Ein Kollateralschaden des Weltfrauentags, der von Jahr zu Jahr an gefühlter Größe gewinnt. Noch vor wenigen Jahren hätten wir gedacht: Eher schaffen es hundert Frauen auf die Vorstandssitze der Dax- Konzerne, als dass eine – die eine – von der Seite 1 der „Bild“ verschwindet. Falsch gedacht.

Verschärfend kommt hinzu: Diese Entscheidung wurde von Männern getroffen. Sämtliche Frauen der Redaktion hatten den großen Frauentag lang frei, damit der Putsch auch gelingt. Redakteurinnen hätten vermutlich gesagt, och lasst mal, ihr braucht das doch, die Mädels sehen auch ganz nett aus, uns stört das jetzt nicht so sehr, wir können ja weiterblättern, die Leute erkennen ja die Zeitung nicht wieder. Deshalb wurden sie aus dem Weg geräumt, und die Schlagzeile „Bild schafft Seite-1-Girl ab“ konnte ungehindert ins Blatt fließen, nach unten abgesichert von einer letzten nackten Blondine. Doch früher hätte dort irgendein Anonymus über „tolle Hupen“ gestöhnt, am Freitag stand daneben eine unter Sexismus-Aspekten voll und ganz unbedenkliche Meldung: „Bewiesen! Frauen fahren besser Auto.“

Der eigentliche Leckerbissen freilich steckt auf Seite 2. Dort nämlich wettert Franz-Josef Wagner gegen die revolutionäre Entscheidung und prägt dafür einen Satz, der in dieser, seiner Zeitung noch nie gestanden hat: „Ich denke, der Chefredakteur von Bild ist verrückt.“

Ist er bestimmt nicht. Denn soeben wurde bekannt, dass die britische „Sun“ die „Bild“-Zeitung in der Auflage überholt hat, knapp, aber messbar. Und wenn wir uns vergegenwärtigen, dass die Nackte in der „Sun“ schon seit Jahrzehnten auf der Seite 3 prangt und es nie auf die Titelseite geschafft hat, dann wird klar, wie ein wirklich modernes, auflagenträchtiges Rezept aussieht: viel Nacktheit, aber verpackt in einer blickdichten Titelseite. Wie Onkel Fritz gesagt hätte: Geschmackvoll muss es sein! Da wird sich die „Bild“-Zeitung auch weiter nicht lumpen lassen.

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