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Meinung: Maul- und Klauenseuche: Das Schwein von nebenan

Das gefährlichste Tier in ganz Europa ist der Schweinehund, und zwar der innere. Da können die Gefühle im Angesicht brennender Rinder und Breakdance tanzender Kühe noch so hoch schwappen: Wenn die Skandale aus der Öffentlichkeit verschwinden, wenn Renate Künast zu einer Ministerin wird, die halt ihre Arbeit macht, und wenn die Kosten der im Eifer geforderten Agrarwende spürbar werden, dann meldet sich der innere Scheinehund der Verbraucher zurück.

Das gefährlichste Tier in ganz Europa ist der Schweinehund, und zwar der innere. Da können die Gefühle im Angesicht brennender Rinder und Breakdance tanzender Kühe noch so hoch schwappen: Wenn die Skandale aus der Öffentlichkeit verschwinden, wenn Renate Künast zu einer Ministerin wird, die halt ihre Arbeit macht, und wenn die Kosten der im Eifer geforderten Agrarwende spürbar werden, dann meldet sich der innere Scheinehund der Verbraucher zurück. Der will dann nichts mehr wissen, sondern wieder fast alles essen und fast nichts dafür zahlen. Dann geht es plötzlich nicht mehr darum, die Verbraucher vor kranken Tierleibern, sondern darum, die armen Tiere vor dem gierigen Verbraucher zu schützen. Was schwerer ist. Denn wer nicht wählen kann, hat keine Wahl.

Wenn man genau hinsieht, dann drohte auch diese große europäische Tierkrise schon mehrfach abzuebben. In Deutschland ließ das Interesse erstmals nach, als Renate Künast sich in ihrem neuen Ministerium etabliert hatte. Die Ministerin konnte gar nicht so schnell Revolution machen, wie das revolutionäre Subjekt, der wählende Verbraucher, sich heimlich schon wieder abwandte. Doch da bekam England plötzlich die Maul- und Klauenseuche, und man ließ vor Schreck das Wurstbrot fallen. Und als man sich an den Gedanken gewöhnen wollte, dass diese Seuche eine rein englische Krankheit sei, da wurde - gestern - gemeldet, dass die erste kontinentale Herde befallen ist. Frankreich?, so denkt nun schon der innere Schweinehund, wo genau in Frankreich? Ach, Westfrankreich, das ist doch ziemlich weit weg, nicht wahr?

Wahrscheinlich wird auch diese Beruhigung nicht lange dauern. Über kurz oder lang wird es nicht mehr Westfrankreich sein, sondern Ostwestfalen. Hoffentlich nicht, hoffentlich doch. Es tut einem leid um die Bauern und die kranken Tiere. Auf der anderen Seite schreibt jeder weitere Seuchenfall die Lehre dieser Tier-, dieser Kulturkrise tiefer ins Bewusstsein: So geht es nicht weiter.

Wie geht es nicht weiter? Wer sich den Sprung der Maul- und Klauenseuche über den Kanal genau verfolgt, erkennt, dass die Krankheit erst mit dem Lastwagen nach Frankreich gefahren und dann vom Wind in einen Nachbarhof geweht wurde. Die beiden Gründe für die Seuchen liegen also auf der Hand: Die Tiere werden in Massen oder sonstwie unverantwortlich gehalten und daher leicht krank. Die Tiere werden dann in Massen durch die ganze Welt gekarrt und mit ihnen die Krankheiten, für die sie so anfällig sind. So geht es nicht weiter.

Wie dann? Nehmen wir die Schweine, die besonders viel reisen müssen: Da gibt es den Zuchtbetrieb, in dem die Ferkel hergestellt werden. An ihrem 6. Lebenstag müssen sie zum ersten Mal in einen Mastbetrieb verreisen. Später müssen sie nochmals reisen, in den nächsten Mastbetrieb. Dann die letzte Reise: zum Schlachthof. Diese Tiertransporte dauern oft sehr lange, weil beispielsweise die Deutschen in jedem Jahr zwei Millionen Ferkel weniger produzieren, als sie Schweine aufessen. Also müssen zwei Millionen Ferkel importiert werden. Nimmt man die anderen Vierbeiner dazu, so werden jährlich sage und schreibe 6,1 Millionen Vierbeiner hin und her über die deutsche Grenze transportiert. Nebst 85,6 Millionen Küken.

Warum ist das so? Weil es sich lohnt. Wie kann das gestoppt werden? Durch Haareraufen über die armen Tiere nicht, durch moralische Appelle an die Bauern nicht, sondern einzig dadurch, dass es sich nicht mehr lohnt. Damit es sich nicht mehr lohnt, muss dreierlei geschehen: 1. Die Dauer der Transporte muss von maximal acht Stunden auf vier verringert werden. Wer nach vier Stunden die Tiere rauslassen, ihnen Wasser geben und über den Kopf streicheln muss, wird das aus finanziellen Gründen nicht mehr tun. 2. Die Kontrollen müssen verschärft werden. Auch hier wie schon bei den BSE-Kontrollen braucht man einen starken Staat. 3. Die EU muss damit aufhören, den Transport von Vieh zu subventionieren.

Die Verbraucherministerin möchte all das durchsetzen. Der Kanzler auch, so lange er denkt, dass die Wähler das unterstützen, durch ihr Kaufverhalten, durch ihr Wahlverhalten, durch die öffentliche Meinung. Wer also für die Tiere etwas tun möchte, sollte biologisch einkaufen und - bildlich gesprochen - immer in Beifall ausbrechen, wenn Renate Künast sagt: vier Stunden.

Zu viel verlangt? Das sollte man die 25,7 Millionen deutschen Schweine, 14,6 Millionen Rinder und 2,6 Millionen Schafe fragen.

Hintergrund: Chronologie: Der jüngste Ausbruch der Seuche in Europa

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