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Meinung: Mazedonien: Gefahr erkannt, aber nicht gebannt

Mazedonien bewegt sich einen Schritt weg vom Abgrund des Bürgerkriegs. Nach einer Woche Klausur am Ohridsee scheint plötzlich doch ein friedlicher Ausgleich in Reichweite.

Mazedonien bewegt sich einen Schritt weg vom Abgrund des Bürgerkriegs. Nach einer Woche Klausur am Ohridsee scheint plötzlich doch ein friedlicher Ausgleich in Reichweite. Wenn alles gut geht, folgt Mazedonien nicht dem Muster Kroatiens, Bosniens oder des Kosovo auf dem Weg der unaufhaltsamen Eskalation. Rettend könnten vor allem zwei Faktoren wirken. Trotz der explosiven Lage hat die Bevölkerung auf die Lockrufe der Scharfmacher beider Seiten zurückhaltend reagiert. Alle haben die Bilder von den vergangenen Balkankriegen noch allzu deutlich im Kopf.

Zweitens zeigt sich das Ausland nach einem Jahrzehnt jugoslawischer Zerfallskriege lernfähig: Die internationalen Vermittler haben die Falken von Anfang an in die Pflicht genommen. Den Kriegstreibern dürfte klar geworden sein, dass eine Eskalation für sie persönlich vor dem UN-Tribunal in Den Haag enden könnte.

Für Entwarnung ist es allerdings zu früh. Den Extremisten stehen genug Hintertüren offen, um einen Deal zu sabotieren und den Konflikt zu verlängern. Die Zweidrittel-Mehrheit für die Verfassungsänderungen im Parlament ist alles andere als sicher. Die Verhandler müssen nach der Klausur am Ohridsee ihre Anhänger vom Friedensabkommen überzeugen. Die Parteiführer könnten sich hinter einem Veto der Abgeordneten verstecken. Die Gespräche müssten dann von Neuem beginnen mit allen Gefahren für den brüchigen Waffenstillstand.

Jeder Friedensplan für Mazedonien steht und fällt zudem mit der Umsetzung. Die Nato-Staaten tun gut daran, das Abkommen vor einer Entsendung ihrer Soldaten genau zu studieren. Mazedonier und Albaner sind aus sehr unterschiedlichen Gründen an einer Friedenstruppe interessiert. Die mazedonische Regierung sieht die Nato-Soldaten als Helfer bei der möglichst schnellen Entwaffnung der albanischen "Terroristen". Die Kämpfer der so genannten Nationalen Befreiungsarmee (UCK) erhoffen sich insgeheim, dass die Nato-Truppe ihnen hilft, ihre Geländegewinne im Westen des Landes abzusichern.

Solche Schützenhilfe hat die Allianz in dem auf 30 Tage befristeten Einsatzplan der 3500 Soldaten nicht vorgesehen. Die Friedenstruppe kann aber leicht zwischen die Fronten geraten. Ganz leicht könnte aus dem befristeten Auftrag doch noch ein neuer Dauereinsatz auf dem Balkan werden. Die albanischen Rebellen müssen zum Beispiel nur Zwischenfälle mit den Regierungstruppen provozieren, um die Nato-Soldaten in eine ungemütliche Lage zu bringen. Ein schneller Abzug der internationalen Truppe wäre dann nur schwer vorstellbar.

In der slawisch-mazedonischen Mehrheitsbevölkerung ist wiederum die antiwestliche Stimmung stark verbreitet. Der Westen und die Nato stehen dort im Ruf, "Albanerfreunde" zu sein. Sollte die Nato-Truppe die Entwaffnung der Rebellen nicht rasch und effizient erreichen, wird im mazedonischen Lager die misstrauische Stimmung in offene Feindseligkeit gegenüber den fremden Truppen umschlagen.

Skepsis ist berechtigt. Im Kosovo hat eine mehrfach stärkere Nato-Friedenstruppe (Kfor) es auch mit Zwang nicht geschafft, die Kriegsveteranen im UN-Protektorat wirkungsvoll zu entwaffnen. In Mazedonien setzt die Nato naiv darauf, dass die albanischen Kämpfer in den Bergen ihre Waffen freiwillig aushändigen. Nach einer nur oberflächlichen Entwaffnung stünde Mazedonien noch schlechter da als heute: Die Staatengemeinschaft hätte in den Augen der Bevölkerung die letzte Glaubwürdigkeit verspielt. Die Scharfmacher auf beiden Seiten könnten sich bestätigt sehen. Ein Friedensabkommen am Verhandlungstisch in Ohrid ist deshalb noch lange keine Garantie für den Frieden in Mazedonien.

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