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Mein Blick: Eine Erziehungsdiktatur will keiner

Ob Clement oder Rauchen: Wo bleibt die Toleranz?

Nein, klug war es nicht von Wolfgang Clement, ausgerechnet im hessischen Wahlkampf seine Partei auf die Wiedersprüche ihrer Energiepolitik hinzuweisen. Aber Parteiausschluss eines Mannes, der einmal stellvertretender Parteivorsitzender, nordrheinwestfälischer Ministerpräsident und Wirtschaftsminister war? Doch die grinsenden Gesichter seines Bochumer Ortsvereins und die „rotzigen“ Bemerkungen von Parteifreunden sprechen Bände.

Das Land, die Gesellschaft sind intolerant geworden. Da wird der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt angezeigt, weil er fernsehöffentlich in geschlossenen Räumen geraucht hat, und ein thüringischer CDU-Politiker büßt mit dem Ende seiner Karriere dafür, dass er einmal bei der „Jungen Freiheit“ volontiert hat. Wir wollen das Richtige, und sei es gewaltsam. Ob auf den Überholspuren unserer Autobahnen, bei der Atomenergie oder der grünen Gentechnik.

Es ist schon so wie es der Verfassungsrechtler Isensee kürzlich formuliert hat, wir neigen zur ökologischen Zwangserziehung der Bevölkerung und nicht nur zur ökologischen. Denn auch die Vätermonate beim Kindergeld sind nichts anderes als der Versuch, nun endlich die Gleichberechtigung auch im Innersten der Familien durchzusetzen.

Ich rauche nicht und finde Tabakqualm in Restaurants ätzend. Und dennoch hoffe ich, dass eine Regelung gefunden wird, die Raucher nicht zu Outcasts macht und sie in die Nähe von Rechtsradikalen und ähnlichen Unverbesserlichen rückt. Es ist ja gut und richtig, dass wir uns um Gesundheit und Klima sorgen. Doch die Art und Weise wie in diesem Land vom Mainstream abweichendes Denken und Verhalten ausgegrenzt, ja fast schon kriminalisiert wird, hat etwas Beängstigendes. Nach zwölf und mehr Jahren der Intoleranz hatten wir uns geschworen: nie wieder. Doch das gilt offensichtlich nur für Sozialdemokraten, die mit der Parteilinie übereinstimmen, Atomgegner und jene, die korrekt von Sinti und Roma statt von Zigeunern sprechen. Wie hat sich Rosa Luxemburg einst von Lenins Revolution abgegrenzt: Freiheit ist immer nur die Freiheit der Andersdenkenden.

Könnten wird uns nicht bei politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen an das Wort Voltaires erinnern: Ich hasse, was du sagst, aber ich werde immer dafür kämpfen, dass du es sagen kannst. Doch das setzt die Überzeugung von der möglichen Berechtigung der anderen Meinung, also Toleranz, voraus. Sollten nordrhein-westfälische Sozialdemokraten und andere Fundamentalisten inzwischen so wenig an die eigenen Wahrheiten glauben, dass sie des gesetzlichen oder gesellschaftlichen Verbotes bedürfen, um sie zu schützen? Schließlich müsste sich das Richtige und Gute, ob Vorschulerziehung oder Energiewende, auch ohne Zwang durchsetzen. Das ist übrigens die Grundlage unserer liberal-demokratischen Ordnung. Eine jakobinische Erziehungsdiktatur ist damit unvereinbar. Auch das Scheitern ist vom Grundgesetz gedeckt.

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