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Alexander Gauland findet, dass abweichende Meinungen ins Aus gedrängt werden.

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MEIN Blick: Richard Wagner und kein Ende

Schon wieder Bayreuth, schon wieder Skandal: Es scheint, als ob die Nachgeborenen das Hören der Wagner-Musik nur durch immer neue Aufklärungs- und Reinigungsrituale für sich erträglich gestalten können, sozusagen die Betäubung ihres schlechten Gewissens durch stete Katharsis.

Es ist jedes Jahr dasselbe. Pünktlich zur Festspielzeit wird im deutschen Feuilleton über die mangelnde Aufarbeitung antisemitischer Tendenzen wie der nationalsozialistischen Verstrickung des Wagner-Clans und Bayreuths geklagt. Diesmal ist es Hannes Heer, der Organisator einer Bayreuther Ausstellung zur Ausgrenzung jüdischer Sänger auf dem Grünen Hügel, der das Klagelied anstimmt, weil ihm Einblick sowohl in Wolfgang wie in Winifred Wagners private Korrespondenz verwehrt wurde.

Nun dürfte Wolfgang Wagners Nachlass kaum von Interesse sein, da er zur fraglichen Zeit ein Heranwachsender und ohne Verantwortung war, Winifreds private Briefe könnten aber noch manche Trouvaille ihrer NS-Begeisterung bergen. Nur, selbst wenn! Geht es hier um historisches Interesse oder bloße Sensationsgier?

Schließlich wäre nur eine antinationalsozialistische Manifestation der Schwiegertochter Richard Wagners eine historische Sensation. Dass Richard Wagner Antisemit war, belegen seine törichten Auslassungen über das Judentum in der Musik. Und dass Bayreuth in diesem Sinne von seinen Nachfahren fortgeführt wurde, kann man als gerichtsnotorisch bezeichnen. Die rassistischen Thesen des Wagner-Schwiegersohns Houston Stewart Chamberlain lieferten dafür das passende ideologische Gerüst. Und schließlich war es Winifred selbst, die in dem berühmten Syberberg-Interview ihre tiefe Bewunderung und Verehrung des Führers offengelegt hat und stolz darauf verwies, ihn schon während seiner Landsberger Haft und erst recht danach beim politischen wie gesellschaftlichen Neuanfang beraten und ihm geholfen zu haben. Was kann man noch mehr an Aufarbeitung verlangen als dieses Eingeständnis charakterlicher wie politischer Urteilslosigkeit?

Ideologisch hatte Bayreuth immer Teil an den problematischen Verwerfungen deutscher Geistigkeit, sei es im antisemitischen, sei es im nationalistischen Sinne. Und Neues dazu wäre nur dann von Interesse, wenn es historische Einschätzungen korrigieren würde.

Wir müssen damit leben, dass einer unserer größten Musiker ein charakterlicher und politischer Blindgänger war. Das mag vielen Musikfreunden schwerfallen, und es gibt nicht wenige, die deshalb weder Wagner mögen noch ihn gar hören, am wenigsten in Bayreuth, wo die problematischen Züge seines Gesamtkunstwerkes noch einmal potenziert werden.

Dabei ist Wagner beileibe kein Einzelfall. Schließlich war Mozart bisweilen ein kindischer Verschwender, Goethe und Thomas Mann herzlose Egoisten und Bismarck ein Familientyrann und Menschenschinder. Das wurde früher gern geleugnet, denn die romantischen Deutschen lieben es nun einmal, das geniale Werk der vollkommenen Persönlichkeit zuzuordnen. Dabei gibt es gerade das höchst selten, da das geniale Werk sich meist einer zerrissenen Persönlichkeit verdankt.

Doch was bei Bismarck und Goethe private Verfehlungen waren, hat sich im Wagner-Clan zur politischen Katastrophe verdichtet, über die man schwerer hinwegsehen kann als über menschlich-private Unzulänglichkeiten. Es scheint, als ob die Nachgeborenen das Hören dieser Musik nur durch immer neue Aufklärungs- und Reinigungsrituale für sich erträglich gestalten können, sozusagen die Betäubung ihres schlechten Gewissens durch stete Katharsis. Dabei ist Musik an sich unschuldig – auch die Richard Wagners.

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