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Alexander S. Kekulé ist Mikrobiologe und Direktor des Instituts für Biologische Sicherheitsforschung in Halle.

© J. Peyer

Meinung: Personalausweis statt Pseudonymität

Die Revolutionen in Tunesien, Ägypten und Libyen werden als Zeichen des Sieges des Internets über die Diktatur interpretiert. Warum das Internet trotzdem kein komplett rechtsfreier Raum werden sollte, erläutert Alexander S. Kekulé.

Im Zeitalter des Internets müssen die Rechte auf Meinungsfreiheit und Schutz der Privatsphäre neu definiert werden. China und andere totalitäre Staaten werden im Westen scharf kritisiert, weil sie E-Mails mitlesen und soziale Netze kontrollieren. Wie es diktatorischen Machthabern andererseits ergehen kann, wenn sie Facebook, Twitter und Co. nicht rechtzeitig abschalten, haben die Revolutionen in Tunesien, Ägypten und Libyen gerade vorgeführt. Die westlichen Demokratien feiern den „Arabischen Frühling“ als Sieg der Freiheit des Internets über Repression und Diktatur.

Ganz anders sieht das jedoch aus, wenn die Anonymität des Internets die innere Sicherheit demokratischer Staaten bedroht. Terroristische Organisationen, radikale Netzwerke und fanatische Einzelkämpfer profitieren vom Internet nicht weniger als die Demonstranten in Daraa und Damaskus. Weil sich der norwegische Attentäter Anders Breivik per Internet Chemikalien besorgte, fordern konservative Bundestagsabgeordnete, die Anonymität des weltweiten Netzes zu beenden. In England, dem Mutterland der parlamentarischen Demokratie, sucht die Regierung nach den Straßenunruhen des vergangenen Monats nach Wegen, soziale Netzwerke und sogar den verschlüsselten Nachrichtendienst von Blackberry zu überwachen – der für sichere Unternehmenskommunikation entwickelte Service ist neuerdings auch bei Krawallmachern besonders beliebt. Wenn Gefahr im Verzug ist, wollen die Behörden den Datenverkehr vorübergehend ganz abschalten.

Lesen Sie weiter: Warum Google+ die Debatte um Pseudonymität im Netz neu entfacht.

Die Debatte um Meinungsfreiheit und Anonymität im Internet entfacht sich derzeit an „Google Plus“, das im Juni als Konkurrent zu Facebook angetreten ist. In dem exklusiven Netzwerk darf nur mitmachen, wer sich mit seinem richtigen Namen anmeldet – und im Gegensatz zu Facebook wird das auch streng kontrolliert. Die Internetgemeinde ist mehrheitlich empört. Am Montag beteiligten sich sogar einige Bundestagsabgeordnete an einem offenen Protestbrief, der von Google ein Recht auf Anonymität einfordert. Ihre Begründung: Nur unter Pseudonym könnten deutsche Bürger ihre Meinung frei artikulieren, ohne Nachteile befürchten zu müssen.

Das Menschenrecht auf Meinungsfreiheit, auf das sich die Verfechter der „Pseudonymität“ rund um den Globus berufen, wird hier jedoch zu Unrecht zitiert. Weder die Verfasser der französischen Bürgerrechte von 1789 oder der UN-Menschenrechtscharta von 1948 noch die Väter des Grundgesetzes der Bundesrepublik sahen voraus, dass Menschen eines Tages ihre Meinung weltweit verbreiten könnten, ohne dabei ihre Identität preiszugeben.

Das Recht auf Meinungsfreiheit schützt deshalb das Individuum vor Benachteiligungen durch seine offene Meinungsäußerung. Ein Recht auf Anonymität, mit dem sich das Individuum verstecken und vorsorglich selbst schützen kann, begründet es nicht.

Pseudonyme im Internet sind sinnvoll und wichtig, wenn es um den (ebenfalls im Grundgesetz verankerten) Schutz der Privatsphäre geht. In sozialen Netzwerken sollte deshalb jeder selbst entscheiden können, ob er seinen wahren Namen preisgeben will. Die dort möglichen Identitätsprüfungen sind ohnehin leicht zu überlisten und dienen in erster Linie dem Marketingversprechen, die virtuelle Plattform sei mit „wirklichen“ Menschen bevölkert.

Dagegen spricht vieles dafür, es den staatlichen Ermittlungsbehörden in Ausnahmefällen zu ermöglichen, den Avataren des „second life“ die zugehörigen Menschen zuzuordnen. Dies ließe sich technisch zum Beispiel durch eine personenbezogene Identifikationsnummer realisieren, die beim Einloggen ins Netz auf einem geschützten Server registriert wird. Das Ergebnis wäre ähnlich wie die Rufnummernunterdrückung am Telefon: Gegenüber dem Kommunikationspartner ist die Anonymität gewahrt, die Behörden können den Anrufer jedoch zurückverfolgen. Wer einen Telefonanschluss erwirbt, muss schließlich auch seinen Personalausweis vorlegen.

Revolutionen werden dadurch zwar nicht einfacher. Doch wird nach dem Arabischen Frühling ohnehin kein totalitäres Regime auf die Kontrolle des Internets verzichten. Und hierzulande dürfen die Bürger hoffentlich noch darauf vertrauen, dass der Staat sein Machtmonopol nicht missbraucht.

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