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Meinung: Meister im Mahnen

Im Erinnern vergewissert sich Deutschland seiner Geschichte – und verdrängt Dissens

Elfriede Jelinek hat auch unterschrieben. „Heil dich doch selbst. Die ,Flick Collection’ wird geschlossen“, lautet die Protestanzeige, die gestern in der FAZ erschien. Sie empört sich über den „staatlich unterstützten Normalisierungsanspruch“, die in der Berliner Flick-Ausstellung mit der Postavantgarde eine angeblich „unheimliche Synthese“ eingeht. Eine seltsame Anzeige, unterzeichnet von Theatermachern wie Frank Castorf, den Filmemachern Christian Petzold und Harun Farocki und etlichen Mitgliedern des linken Berliner Kunst- und Kulturmilieus.

Seltsam ist schon der Zeitpunkt der Veröffentlichung, pünktlich zum Auschwitz-Gedenktag: FlickProtest jetzt, vier Monate nach Eröffnung der Schau im Hamburger Bahnhof? Vier Monate, nachdem Kanzler Schröder den wegen der NS-Verstrickung der Familie Flick umstrittenen Sammler energisch verteidigte und Kritiker wie Salomon Korn bei der Eröffnung mit keinem Wort erwähnte? Warum hat die Kunstszene, die sich in der Vernissage-Nacht zu Hunderten in den Ausstellungsräumen drängelte, damals geschwiegen? Und was verrät die verspätete Wortmeldung über die Mechanismen, über Verbindlichkeit und Unverbindlichkeit der Erinnerungskultur?

Von der Versöhnung der Deutschen mit sich selbst ist die Rede. Und davon, dass „die Erinnerung der Shoah noch in ihrer Benennung stillgestellt“ wird. Da ist allerdings etwas dran. Die Deutschen neigen dazu, das Gedenken und Debattieren, die Schweigeminute und die Unruhestiftung fein säuberlich voneinander zu trennen. Hier die Feierstunde mit den Überlebenden. Dort das lautstarke Stimmengewirr rund um Holocaust-Mahnmal, Degussa, Lea Rosh, Blutgeld und Flick-Erbe. Hier die „guten“, da versöhnlichen Juden, die ihren deutschen Mitbürgern gelungene Emanzipation von der braunen Vergangenheit bescheinigen. Dort die zornigen, unversöhnlichen Juden, die eine andere, unbequemere Wahrheit aussprechen. Parallelwelten, alles andere als normal.

Und noch eine (Un-)Gleichzeitigkeit: Während NPD-Abgeordnete im sächsischen Landtag die Nazi-Verbrechen kleinreden, amüsieren sich die Zuschauer im Kino über den jüdischen Humor von „Alles auf Zucker“. Dani Levys Familienkomödie verrät weniger über die tatsächliche Entkrampfung zwischen Nichtjuden und Juden 60 Jahre nach dem Holocaust als über die Sehnsucht danach.

Noch etwas ist seltsam am späten Protest. Trotz starker Worte formuliert er kein konkretes Anliegen. Die Ausstellung schließen? Das hilft den Überlebenden auch nicht. So sind es weiterhin vor allem Juden, die den millionenschweren Flick-Erben auffordern, Überlebende für ihre Zwangsarbeit endlich zu entschädigen. Warum von keiner anderen Seite der Appell an den Kanzler, er möge die wortreich beschworene politische Verantwortung des Mäzens auch in diesem Sinne auslegen?

Deutschland ist Weltmeister im Mahnen, Erinnern, Betroffensein. Aber Schuldbewusstsein ist kein Verdienst. Sich auf der Zerknirschung auszuruhen, wäre die falsche Lehre.

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