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Meinung: Menschen sind nicht alle gleich

„Rassespezifische“ Medikamente sind ein Tabuthema der Medizin

Alexander S. Kekulé Am 23. Juni erteilte die USArzneimittelbehörde FDA eine Zulassung, die Geschichte schreiben dürfte. Das neu eingeführte Medikament „BiDil“ ist eigentlich nichts Besonderes, ein Herzmittel wie viele andere. Doch enthält der Beipackzettel einen Hinweis, der in der Geschichte der Medizin bisher einmalig ist: BiDil darf nur für Menschen schwarzer Hautfarbe verordnet werden. Jetzt streitet das politisch korrekte Amerika heftig über die Frage, ob die moderne Medizin etwa das Schreckgespenst der Rassenlehre wiederauferstehen lässt.

Angefangen hatte die Geschichte des „rassischen“ Medikaments mit einer clever ausgeheckten Marketingstrategie: Die US-Pharmafirma NitroMed war 1997 bei der FDA abgeblitzt, weil die vorgelegten Studien für einen generellen Wirksamkeitsnachweis von BiDil bei Herzversagen nicht ausreichten. Allerdings hatte das Mittel bei Schwarzen deutlich besser geholfen als bei weißen Probanden. Unterstützt von der „Association of Black Cardiologists“ startete NitroMed deshalb eine weitere Studie, diesmal ausschließlich mit afroamerikanischen Probanden – und fand eine Verringerung der Sterblichkeit um 43 Prozent. Der Effekt war so eindeutig, dass die Studie an 1050 Patienten vorzeitig abgebrochen werden musste, damit auch die Placebo-Gruppe das neue Medikament bekommen konnte.

Fachleute meinen, dass BiDil bei allen ethnischen Gruppen mehr oder minder gut wirkt. Um das zu beweisen, hätte NitroMed jedoch eine sehr große und teure Studie in Auftrag geben müssen. Obendrein wäre bei allgemeiner Zulassung der Patentschutz bereits 2007 ausgelaufen, weil BiDil aus zwei altbekannten Komponenten besteht. Durch die neuartige Anwendung als „rassespezifisches“ Medikament gilt der Patentschutz nun bis zum Jahr 2020.

Im Windschatten der erfolgreichen BiDil-Zulassung wagen sich nun Wissenschaftler aus der Deckung, die schon lange von der Existenz menschlicher „Rassen“ überzeugt sind – nicht als soziales oder gar ideologisches Konzept, sondern als genetische Orientierungshilfe. Gleich nach der Aufklärung des menschlichen Erbguts im Jahre 2000 machten sich Molekularbiologen daran, systematisch nach individuellen und ethnischen Unterschieden zu suchen. Wie sich herausstellte, existiert anscheinend jedes der etwa 32 000 menschlichen Gene in mehreren Varianten. Vor rund 7000 Generationen verteilte sich Homo sapiens so weit auf dem Planeten, dass sich sein Erbgut nicht mehr gleichmäßig vermischen konnte. Viele Genvarianten der heutigen Menschen entsprechen deshalb dem geographischen Ursprung ihrer frühen Vorfahren – und sind daher bis zu einem gewissen Grad mit Hautfarbe und Ethnie korreliert.

Diese triviale Tatsache laut auszusprechen, war bis vor kurzem für viele Forscher tabu – schließlich ist die „Gleichheit aller Menschen“ eherne Grundfeste demokratischer Staaten. In der Medizin ist jedoch schon lange bekannt, dass es unter den Gleichen viele kleine Unterschiede gibt. Aschkenasische Juden etwa leiden gehäuft an bestimmten Erbkrankheiten, Menschen schwarzer Hautfarbe haben ein höheres Risiko für Bluthochdruck und Prostatakrebs. Für zahlreiche Medikamente ist bekannt, dass Wirkungen oder Nebenwirkungen auch vom ethnischen Hintergrund der Patienten abhängen. Die medizinischen Verschiedenheiten beruhen auf genetischen Varianten, die etwa die Anfälligkeit für Krebs oder die Abbaurate von Medikamenten beeinflussen. Diese Gene treten bei bestimmten Ethnien gehäuft auf, können aber bei allen Menschen vorkommen. In naher Zukunft werden deshalb individuelle genetische Analysen die missbrauchsträchtige Einteilung nach „Rassen“ ersetzen. Auf die genetische Veranlagung des Patienten individuell zugeschnittene Arzneimittel könnten die Medizin eines Tages revolutionieren. Da dieses neue Feld der „Pharmakogenetik“ gerade auch ethnischen Minderheiten helfen kann, hat die Erforschung der Unterschiede zwischen den Menschen nichts mit Rassenlehre zu tun, im Gegenteil: Sie macht die Medizin ein wenig demokratischer.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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