zum Hauptinhalt
Wahlsieger unter sich: CSU-Chef Horst Seehofer und Kanzlerin Angela Merkel.

© afp

Merkel und Seehofer: Kanzlerin für Bayern

Weil Angela Merkel inzwischen so stark ist, muss Horst Seehofer den Nervtöter spielen. Solange noch verhandelt wird, kann der CSU-Chef Forderungen stellen. Danach warten die Käfigstäbe der Koalition.

Von Robert Birnbaum

Dieser Montag hat das Zeug, in die Zeitgeschichte einzugehen. Es ist Tag acht nach der Bundestagswahl, und bis zur Stunde hat Horst Seehofer noch kein neues Ultimatum aufgestellt. Wahrscheinlich hat sich der CSU-Chef am Wochenende verausgabt: sein Wort darauf gegeben, dass keine Steuern steigen sollen, das Betreuungsgeld für unverhandelbar erklärt, die Maut bekräftigt – das würde eigentlich für drei Interviews reichen. In Berlin fragen sich manche schon bang, ob das noch vier Jahre so weitergehen soll.

Doch sie sollten sich nicht sorgen. Das Gebrüll des bayerischen Löwen ist nämlich, anders als er selbst es alle glauben machen will, gar kein Triumphgeheul. Es ist erst recht kein Beweis für quartalsweisen Übermut. Horst Seehofer handelt diesmal völlig vernünftig.

Horst Seehofer könnte zum Sündenbock werden

Vernünftig ist das Gedröhn erstens, weil es auf dialektisch-vertrackte Weise die Regierungsbildung in Berlin erleichtert. Irgendeinen Buhmann braucht Sigmar Gabriel schließlich, wenn er demnächst seiner Parteibasis erklären muss, dass die SPD in einer Koalition nicht ihr Parteiprogramm umsetzen kann. Und wer eignete sich dazu besser als ein Bayern-Fürst, der sich schon vorab so weithin sichtbar bockbeinig gestellt hat.

Vernünftig ist die Kraftmeierei aber vor allem mit Blick auf die CSU. Die kleine Schwester der CDU wirkt bei oberflächlicher Betrachtung ja gerade mächtig stark: im Land die absolute Mehrheit zurückerobert, bei der Bundestagswahl sogar ein noch besseres Ergebnis – das lässt Muskeln wachsen. Seehofer und seine Satrapen versuchen diese Lesart mit aller Macht zu etablieren. Sie wissen, warum. Es gibt noch eine andere, weniger schmeichelhafte Deutung.

Und die geht so: Horst Seehofer hat in Bayern bei seiner Landtagswahl gut 47 Prozent der Stimmen geholt, Angela Merkel eine Woche später fast 50 Prozent. Mehr als 300 000 Bayern wollten also die Angela, den Horst hingegen nicht.

Nun kann man diese Art von Rechnung rabulistisch finden. Sehr real hingegen sind die Zahlenverhältnisse, die sich aus der Wahl für Seehofers Wunschbündnis ergeben, die große Koalition. Die CSU ist in einem Bündnis der Volksparteien stets der kleinste Partner. Aber anders als 2005 kommt es diesmal auf die Bayern nicht an.

Damals lagen Union und SPD nahezu gleichauf, und Merkel konnte ihren Anspruch auf die Kanzlerschaft nur darauf stützen, dass CDU und CSU gemeinsam die größere Fraktion stellten. Diesmal stellt die CDU alleine genügend Abgeordnete, um diesen Anspruch anzumelden. Damit fällt ein bayerisches Druckmittel weg, das zwar auch bisher schon ziemlich theoretisch war, in der Familienpsychologie der Schwesterparteien aber immer eine Rolle gespielt hat.

Als Druckmittel bleibt die Unterschrift unter den Koalitionsvertrag. Solange er die nicht geleistet hat, kann Seehofer noch Forderungen stellen. Dass er das lautstark tut, mag nervig sein. Aber anders denn als Nervtöter hat er überhaupt keine Chance, mit weithin unbeliebten Ideen wie der Autobahnmaut durchzudringen. Man soll nur das Gebrüll nicht für ein Zeichen von Kraft halten. Es ist mehr das Aufbäumen des Löwen, der weiß, dass die Käfigstäbe der Koalition auf ihn warten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false