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Malte Lehming

© Kai-Uwe Heinrich

Michael Jackson: Tanzender Schlafwandler

Malte Lehming Über das Leben von Michael Jackson

Das Leben war oft stärker als er, aber seine Musik war immer stärker als das Leben. Michael Jackson war einer jener Menschen, die nur die Kunst gebären kann und die nur durch die Märchensprache beschreibbar sind. Ein Grenzgänger zwischen Traum und Wirklichkeit, ein Schlafwandler auf dem Dachfirst bei Mondschein. Der „King of Pop“ ist tot, mit 50 Jahren viel zu früh gestorben, aber er und das Altern standen sich ohnehin immer wie Feinde gegenüber. Jackson als Rentner? Das hätte gar nicht gepasst. Also reiht er sich ein in die Galerie der „Aus-dem-Leben-Gerissenen“: Jimmy Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison, Elvis Presley, Freddy Mercury. „Only the Good die young.“

Wer als Sterntaler durchs Leben wandelt, wird entweder erlöst oder verachtet. Jackson wurde beides. Seinen Gegnern machte er es dabei leicht. Sie zerrten ihn vor Gericht, beschimpften ihn als psychisch gestörten Mann, der regelmäßig mit kleinen Jungs in einem Bett lag, der sich in seinem Fantasiereich mit Spielzeug, Süßigkeiten und Karussells umgab, der exzentrische Allüren hatte, sich durch diverse Gesichtsoperationen – im Wahn, ewig jung zu bleiben – vollkommen verunstaltete. Sie warfen ihm vor, nicht nur nach Außen den Exzentriker zu spielen, sondern auf seiner „Neverland“-Ranch seine pädophilen Neigungen ausgelebt zu haben.

Blass, bleich, Zombie, Wahnsinniger, Außerirdischer, skurril, paranoid, verschwenderisch, naiv, gerissen: Selbst sich widersprechende Prädikate wurden Jackson aufgeklebt. Er selbst indes verstand oft gar nicht, was ihm zur Last gelegt wurde. Wie ein Kind wirkte er, in dessen Kopf gerade Feen und Prinzen durch Schlösser tanzen, während es lernen muss, bei Tisch aufrecht zu sitzen. Jackson lebte in seiner eigenen Realität. Ihre Schnittmenge mit der der anderen Erdenbewohner war minimal.   Sensibel, hochtalentiert, bizarr, offenherzig, ehrlich: So verehrten ihn seine Fans. „Du bist nie allein“, riefen sie ihm zu, in steter Angst um ihn, der sich selbst so schwer zu schützen vermochte. Der Begriff „Superstar“ wollte auf Jackson nicht zutreffen, zu harmlos und abgewetzt. Also wurde die Steigerung erfunden, „Megastar“. Dieser Megastar trug silberne Handschuhe, tanzte den Moonwalk und den Robot. Musik, Körper und Tanz verschmolzen in ihm zu einer neuen, faszinierenden Einheit. Rund 750 Millionen Dollar verdiente Jackson damit, am Ende war er pleite. Falsche Freunde, große Sprünge, Abfindungen, Überblicksverlust. Kunst, Märchen, Geld: Auch das geht meist schlecht zusammen.

Noch im Jahr 2000 verzeichnete das Guiness-Buch der Rekorde den Popstar als jenen, der das meiste Geld an Wohltätigkeitsorganisationen gestiftet hat. Ein Kindsmann, dessen großes Herz ausgenutzt wird? Ein moderner Jesus – Lasset die Kindlein zu mir kommen! – missverstanden, angefeindet, vor die Richter (Pontius Pilatus) geschleppt? Ein Engel auf Erden? In kaum einem Künstler kulminierten mehr Mythen.

„Jacko“ prägte vor allem die Kultur der 80er Jahre. Sein Album „Thriller“ (1982) entstand zur Blütezeit der Musikvideos. Auch auf diesem Gebiet war er Vorreiter. Von „Thriller“ wurden mehr als 100 Millionen Exemplare verkauft. Es ist und wird wohl für immer das meistverkaufte Album der Welt sein. Seine größten Hits fielen überhaupt in eine Zeit, als sich außerhalb der westlichen Länder die Mittel der Massenkommunikation, Radio und Fernsehen, rasant verbreiteten. In der Geschichte der kulturellen Globalisierung zählt Jackson zu den ersten wirklichen Weltstars.

Doch das ist lange her.

Am Ende plante Jackson ein Comeback. Sein Körper schien bereits zu zerfallen, wer ihn früher verehrte, empfand vor allem Mitleid mit ihm. Der Verkaufsstart der Tickets für seine Comeback-Konzerte in London war phänomenal. Ausverkauft, ausverkauft, ausverkauft. Dann mussten die Termine immer neu nach hinten verlegt werden. „Ich sehe Euch im Juli und ich liebe Euch alle, tue ich wirklich, von der Tiefe meines Herzens“, sagte er auf der Pressekonferenz zu seiner Comeback-Tournee.

Mit der zweiten Hälfte des Satzes hielt er wohl Wort. „You are not alone“, Michael.

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