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Mieten-Debatte: Was ist eigentlich Wohnungsnot?

Unser Leser Jens Krause meint, die Mieten in Berlin sollten genauso teuer sein wie in anderen Großstädten. Dann aber ginge die "Berliner Mischung" verloren, befürchtet Stadtentwicklungssenator Michael Müller in seiner Replik.

Sie betrachten die Stadt als Markt: Wenn ein Gebiet attraktiver wird, steigen die Mieten; zahlungskräftigere Haushalte ziehen zu - wo ist eigentlich das Problem? Als Verantwortlicher für Stadtentwicklung habe ich einen weiter gefassten Auftrag und frage: Was macht die Attraktivität Berlins aus? Wie können wir die Stadt positiv entwickeln? Und wo finden Menschen, die sich keine teure Wohnung leisten können, angemessenen Wohnraum? Auf den haben sie ja einen gesetzlichen Anspruch, wie Sie selbst sagen.

Ihre marktwirtschaftliche Rechnung greift aus meiner Sicht dennoch zu kurz. Auch ich möchte wirtschaftliches Wachstum, mehr Arbeitsplätze und den Zuzug von Menschen. Ich möchte außerdem die Modernisierung von Wohnraum und energetische Sanierung, damit wir weniger für Energie bezahlen. Das führt meistens, bis dahin sind wir uns einig, zu steigenden Mieten. Aber: Ich möchte auch, dass die Entwicklung des Wohnungsmarktes die Entwicklung der Stadt befördert, und verhindern, dass steigende Mieten soziale Folgekosten verursachen. Wenn wir nicht eingreifen, müssen wir die Fehlentwicklungen von heute morgen mit öffentlichen Mitteln reparieren.

Berlin ist auch deshalb so attraktiv, weil es viele verschiedene Quartiere und Kieze mit unverwechselbarer Prägung hat, in denen Menschen mit unterschiedlichen Herkünften, Einkommen und Lebensentwürfen zusammenleben. Das ist die "Berliner Mischung", die es zu erhalten und zu fördern gilt. Ich möchte die Menschen nicht mit der "normalen Marktentwicklung" alleine lassen, weil wir eins nicht wollen: die soziale "Entmischung" von Quartieren.

Michael Müller, Berlins Senator für Stadtentwicklung und SPD-Landeschef
Michael Müller, Berlins Senator für Stadtentwicklung und SPD-Landeschef

© dapd

Rahmenbedingungen setzen bedeutet nicht unbedingt Zwangsbewirtschaftung von Wohnraum. Diese kritisieren Sie wegen ihrer investitionshemmenden Wirkung zu Recht. Auch die extrem teueren Förderprogramme der sozialen Wohnungsbauförderung aus vergangenen Tagen wollen wir nicht aufleben lassen. Vielmehr arbeiten wir an der Ausgestaltung verschiedener Instrumente unter Mitwirkungen von Eigentümer- und Mietervertretungen. Das Ziel ist dabei, die Mietenentwicklung nach oben abzudämpfen und die Berliner Mischung zu erhalten.

Die wichtigsten Instrumente will ich nennen: Wir wollen die steigende Nachfrage nach Wohnraum bedienen, indem wir die Neubautätigkeit anregen und die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften ihren Bestand vergrößern. Wir stellen über eine neu orientierte Liegenschaftspolitik Grundstücke für Wohnungsbau günstiger zur Verfügung. Wir fördern Genossenschaften. Die Nachfrage nach Wohnungen und das historisch niedrige Zinsniveau kommt uns entgegen.

Was tun gegen Wohnungsnot? Eine Video-Umfrage:

Wir arbeiten ferner an Gesetzen, die die Zweckentfremdung von Wohnraum in Ferienwohnungen verhindern. Nicht vermietbare Wohnungen sollen durch ein "Sanierungsprogramm" wieder markttauglich gemacht werden. Bei alldem können wir übrigens von den Städten lernen, die Sie selbst nennen. Hamburg, Frankfurt und München kämpfen mit exorbitanten Mieten und deutlich höheren Mietkosten anteilig am Einkommen der Bürger. Dort sollen Bündnisse mit privaten Investoren (München) oder mit den eigenen Bezirken (Hamburg) den Wohnungsmarkt positiv entwickeln. Wir werden uns am 21. Mai auf einer Konferenz hier in Berlin mit den anderen Städten treffen und von deren Erfahrungen lernen.

Die Situation auf dem Berliner Wohnungsmarkt wird von vielen Berlinerinnen und Berlinern zunehmend als angespannt wahrgenommen. Ich denke, wir werden die Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt nicht umdrehen können, aber ich bin mir sicher: Es ist gut, jetzt einzugreifen und nichts unversucht zu lassen, um die Mietenentwicklung langfristig zu dämpfen. Davon haben wir alle etwas.

Der Autor ist Senator für Stadtentwicklung und Umwelt in Berlin und Landeschef der SPD

Leserbrief von Jens Krause, Berlin-Grunewald

In der Berliner Verfassung steht, jeder hat Anspruch auf Wohnraum, aber nicht auf eine Wohnung zum Beispiel in Kreuzberg oder Charlottenburg. Das mit Wohnungsnot zu bezeichnen ist Unsinn. Wenn bestimmte Gebiete attraktiver werden, dann verstärkt sich die Nachfrage und bei begrenztem Angebot, und das ist immer begrenzt, steigen die Mieten, weil der Zahlungskräftigere eben noch ein paar Euro zulegt, um seine Wunschwohnung zu bekommen. Der damit einhergehende Verdrängungsprozess ist unvermeidbar und dient auch der stetigen Erneuerung der Stadt. Wer meint, das verhindern zu können, muss in die Zwangsbewirtschaftung zurück, Zuweisung von Wohnungen und Preisbindung der Mieten. Haben wir alles schon gehabt in Berlin, noch heute müssen wir deshalb Milliarden Schulden abbezahlen.

Gibt es eigentlich einen plausiblen Grund, warum in Berlin die Mieten so erheblich billiger sein müssen als in Hamburg, München oder Frankfurt? Nirgendwo in einer mitteleuropäischen Millionenstadt lässt es sich so günstig leben wie in Berlin. Es ist ein fataler Irrtum zu glauben, dass das so bleiben wird. Der Übergang von einer subventionierten Frontstadt beziehungsweise einer sozialistischen Wohnraumversorgung in eine der gegenwärtig attraktivsten Metropolen Europas bringt Wachstumsschmerzen. Wir werden die Attraktivität mit geringeren Ansprüchen an Wohnungsgröße und mit eingeschränkter Auswahl beim Wohnungsstandort bezahlen müssen. Der Preis ist nicht ungerecht.

Tagesspiegel-Leser Jens Krause, Berlin-Grunewald

Michael Müller

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