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Ein Synonym für Heimat? Der berühmte Christkindlesmarkt in Nürnberg.

© AFP

Migration und Globalisierung: Die Heimat hat wieder Konjunktur

Politisch ist das Gefühl nach Heimat eher verpönt. Dabei wollen die wenigsten Menschen heimatlos sein. Und wer seine Heimat liebt, kann umso mehr den begrüßen, der auf der Suche nach einer neuen seine alte hinter sich gelassen hat.

Da ist sie wieder, die Sehnsucht. Die Tage werden immer noch kürzer und dunkler, die Vorbereitungen für die Feiertage werden getroffen, Weihnachten steht vor der Tür. „Driving home for Christmas“ läuft im Radio rauf und runter, wer kann, plant die Reise nach Hause. Und hat dabei ein wohliges Gefühl. Zurückzukehren an den Ort, von dem man kommt. Vielleicht nicht für ausnahmslos jeden ein schöner Gedanke, aber wohl doch für die meisten. Heile Welt eben, zumindest als Utopie. Das Heimatgefühl ist zurück.

Politisch ist dieses Gefühl bei vielen eher verpönt. Das zeigten die ersten Reaktionen auf einen „typischen Seehofer“ im März dieses Jahres: Mitten im bayerischen Landtagswahlkampf hatte er verkündet, ein Heimatministerium schaffen zu wollen, das bundesweit erste. Die Kritik kam schnell. Populistische Symbolpolitik, der CSU-Chef spiele die Patriotismuskarte, oder auch einfach: grober Unfug. Abgesehen von der Frage, warum man überhaupt ein neues Ministerium brauche, löste der demonstrativ benutzte Begriff „Heimat“ bei vielen Gänsehaut aus. Okay, die überpatriotischen Amis haben ein Heimatschutzministerium, aber warum die geschichtsbeladenen Deutschen, die doch ihr Land viel lieber in Europa aufgehen lassen sollten?

Die Aufregung hat sich gelegt, das Ministerium gibt es, angehängt an das bayerische Finanzministerium, mit Hauptsitz im fränkischen Nürnberg. Es soll sich vor allem um die Stärkung des ländlichen Raums angesichts wachsender Demografieprobleme kümmern. Mit dem ehrgeizigen Markus Söder als Chef wird es neue Akzente setzen, davon kann ausgegangen werden. Und die Erkenntnis hat sich durchgesetzt, dass der Seehofer’sche Impuls vielleicht gar nicht so falsch, sondern möglicherweise hoch modern war, das „populistische“ Gefühl aufzunehmen, in Zeiten der Zentralisierung etwas gegen die Landflucht vor Ort tun zu müssen, statt alle Kraft allein auf den Standort München zu setzen.

Zurück bleibt die Erkenntnis, dass es mit der Heimat halt immer noch schwierig ist. Dabei ist der Begriff eigentlich harmlos, er verweist auf eine Beziehung zwischen Mensch und Raum, eine auch kulturelle Verwurzelung mit einem konkreten Ort, einer bestimmten Region. Die zu leugnen, ist spätestens in Zeiten der Globalisierung in Mode gekommen, weshalb sonst gilt es als schick, keine Heimat zu haben, ein Globetrotter ohne festen Wohnsitz zu sein, wie es zum Beispiel der Investor Nicolas Berggruen vorlebt? Warum ist das keine bedauernswerte Beschreibung eines einsamen Lebens?

Juliane Schäuble
Juliane Schäuble

© Kai-Uwe Heinrich TSP

Dieses Motiv taucht in Debatten immer wieder auf, zum Beispiel wenn es um den flexiblen Arbeitnehmer geht, der doch eigentlich überall leben können sollte, oder um den modernen Arbeiter, der einfach nur seinen Laptop aufklappt und an jedem Ort der Welt den gleichen Job machen kann. Alles andere wird als romantische Verklärung abgetan, die in einer grenzenlosen Welt einfach nicht mehr zeitgemäß ist.

Doch das ist nicht wahr. Das zeigt schon die Tatsache, dass es so vielen Migranten immens wichtig ist, auch in der neuen Heimat eine Verbindung zur alten zu haben, neben der neuen Staatsbürgerschaft auch den alten Pass zu behalten. Und das häufig weniger wegen tatsächlicher Vorteile, als nur wegen des Gefühls. Die wenigsten Menschen wollen heimatlos sein. Selbst wenn sie nie wieder in ihre Heimat zurückkehren können.

Die Angst davor, mit einem zunehmend grenzenlosen Europa, in einer Welt mit durchlässigeren Grenzen von arbeitssuchenden Migranten überrollt zu werden, ist aus manchen Köpfen nicht zu vertreiben. Dahinter können üble Ressentiments stecken, dumpfe Vorurteile gegenüber Fremden. Aber vor allem ist es die in vielen Fällen fälschliche Annahme, die Menschen in Rumänien oder in Marokko hingen so wenig an ihrer Heimat, dass sie sofort in den ersten Bus steigen, wenn die Grenzen erst offen sind. Weil sie nichts tiefer Gehendes an ihre Heimat bindet.

Überzeugend ist das nicht. Wer anerkennt, dass es nicht immer leicht ist, die Heimat zu verlassen, muss doch Respekt vor dem haben, der es tut. Und bedauert ihn vielleicht ein bisschen. Wer seine Heimat liebt, kann doch den begrüßen, der auf der Suche nach einer neuen seine alte hinter sich gelassen hat.

Spätestens, wenn alle in wenigen Wochen aufbrechen, um nach Hause zu fahren, hat die Heimat wieder Konjunktur. Mal schauen, wie lange es dieses Mal anhält.

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