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Meinung: Milchmädchenrechnungen

Zum strategischen Konzept der Bundeswehr passt die Wehrpflicht nicht mehr

Von Robert Birnbaum

E s gibt Sachen, die gehören vor Gericht, und andere eher nicht. Die Wehrpflicht gehört zu den Eher-nicht-Dingen, auch wenn das Wort von der „Wehr“- respektive der „Dienstgerechtigkeit“ eine Zuständigkeit der Justiz nahe legt. Um das Gegenteil plausibel zu machen, muss man gar nicht das Bundesverfassungsgericht in den Zeugenstand bemühen, das bisher mit großer Regelmäßigkeit darauf verwiesen hat, dass die Entscheidung über die Wertform eine politische sei. Es genügt ein Blick auf die Folgen. Wer die Wehrpflicht abschafft (oder nicht) trifft eine Entscheidung von eminent staatspolitischer Bedeutung und mit weit reichenden Folgen. Das sollte, bitte, die Volksvertretung tun und nicht – bei allem Respekt – ein Verwaltungsgericht.

Nun ist freilich die Politik selber Schuld daran, dass ein Gericht, das Verwaltungsgericht Köln, der Debatte mit seiner sehr energischen Kritik neuen Schwung verliehen hat. Es verstoße gegen den Willkürgrundsatz, so die Kölner Kammer, wenn von den Wehrdienstfähigen eines Jahrgangs nur noch weniger als die Hälfte tatsächlich eingezogen würden. „Stimmt nicht!“ rufen die Verteidiger der Wehrpflicht und rechnen vor, dass auf absehbare Zeit von dem Jahrgangsdrittel, das tatsächlich zur Einberufung zur Verfügung stehe, zwei Drittel eingezogen würden, mithin nur zehn Prozent pro Jahrgang tatsächlich grundlos ungedient blieben. Formal stimmt das, was mit ein Grund dafür ist, dass die Kölner Richter mehr publizistischen als juristischen Staub aufwirbeln dürften.

Politisch ist es nicht ganz ehrlich. Die Kriterien für Einberufung und Tauglichkeit sind inzwischen so formuliert, dass sie eben jene hohe „Ausschöpfungsquote“ produzieren. Das entzieht Zweifeln an der Dienstgerechtigkeit formal die Basis. Faktisch, wie gesagt, steckt darin ein Stück Mogelei. Ehrlicherweise müssten die Verantwortlichen nämlich offen aussprechen, was sie intern längst sagen: Wir brauchen die meisten theoretisch Wehrpflichtigen gar nicht mehr. Wir brauchen höchstens noch die, die fit an Körper und möglichst an Geist sind, um aus ihnen unseren länger dienenden Nachwuchs zu rekrutieren. Wir brauchen Wehrpflichtige, speziell Reservisten allenfalls noch als Reservoir für den Fall, dass wir hierzulande mit größeren Gefährdungslagen fertig werden müssten. Aber den letzteren Satz sagen alle nur hinter ganz und gar vorgehaltener Hand, weil er auf ein weiteres vermintes Gelände führt. Mitten hinein in die Frage nämlich, ob innere und äußere Sicherheit so säuberlich getrennt bleiben können, wie wir uns das eingedenk der bösen Erfahrungen in Weimarer Republik und Drittem Reich eingerichtet haben.

Spätestens hier dürfte aber deutlich werden: Es ist keine juristische, es ist nicht mal eine rein nach Zweckmäßigkeit oder Kosten zu entscheidende Frage, ob die Bundeswehr eine Wehrpflichtarmee bleibt oder ein Freiwilligen- und Berufsheer wird. Es ist eine Frage der strategischen Bedarfsanalyse und des politischen Willens. Was den strategischen Bedarf angeht, verhält sich die Regierung strategisch richtig, aber politisch unlogisch: Sie richtet die Armee derart konsequent auf Vorne-Verteidigung am Hindukusch aus, dass der normale Kurzzeit-Rekrut diesen Betrieb eher stört. Dieses Konzept braucht die Wehrpflicht technisch nicht mehr. Was aber den politischen Willen angeht – er wirkt inzwischen auch bei den Befürwortern arg gebrochen. Wahrscheinlich wird es Zeit, über etwas ganz anderes nachzudenken: Wie wir jenen fast „zivilen“ Charakter, der die Bundeswehr vor anderen auszeichnet, ohne Wehrpflicht erhalten. Auch Profis müssen bleiben, was Wehrpflichtige waren und sind: Staatsbürger in Uniform.

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