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Meinung: Missbrauch der Redefreiheit

Vor einem Weltpublikum kam Slobodan Milosevic in Den Haag fast zehn Stunden lang unzensiert und ungebremst zu Wort. Er sprach von Nato-Bomben und der Schuld der Westpolitiker, von Historie und Medienhetze - wie er wollte und was er wollte.

Von Caroline Fetscher

Vor einem Weltpublikum kam Slobodan Milosevic in Den Haag fast zehn Stunden lang unzensiert und ungebremst zu Wort. Er sprach von Nato-Bomben und der Schuld der Westpolitiker, von Historie und Medienhetze - wie er wollte und was er wollte.

"Eine Sternstunde der internationalen Justiz" nannte das der New Yorker Anwalt und Menschenrechtler Richard Dicker in der Lobby des Tribunals. Er hat Recht. Hier soll und hier muss deutlich werden, dass auch Personen, die schwerer Kriegsverbrechen bezichtigt werden, von Gericht selbstverständlich ihre Rechte haben. Und dazu gehört die Redefreiheit genauso wie das Recht auf einen fairen Prozess. Gericht ist nicht Rache. Auch, dass Slobodan Milosevic die Chance zum ausführlichen Kreuzverhör erhält, ist vollkommen korrekt und selbstverständlich.

Erstaunlich ist allerdings, in welcher Breite und Länge der Vorsitzende Richter Richard May dem Angeklagten nicht nur Fragerecht einräumte - zur Lage im heutigen Kosovo, zu Mazedoniens Minderheiten, zur Geschichte Albaniens - sondern auch Kommentierungen des Angeklagten zu den Antworten des Zeugen zuließ. Minimal hingegen wirkte die Vorbereitung der Ankläger auf die Befragung ihres ersten Zeugen. Der kosovoalbanische Soziologieprofessor war den Anwürfen und dem selbstherrlichen Auftreten von Milosevic in einigen essenziellen Punkten nicht gewachsen. So sehr Gericht und Publikum auf seiner Seite stehen mögen, es wäre nötig gewesen, die Aussagen des Zeugen mit einigen Beweisen zu untermauern. Wo zum Beispiel blieb die "Loyalitätserklärung zu Serbien", von der der Zeuge mehrfach sprach und zu deren Unterzeichnung die Albaner 1989 gezwungen sein sollen? Auf Nachfragen von Milosevic, ob der Zeuge das Dokument denn kenne und zitieren könne,konnte der alte Herr kaum oder nur lückenhaft antworten. Dieses Dokument vorzulegen wäre für die Ankläger kein Problem gewesen. Sind sie sich vielleicht ihrer Sache schon zu sicher? Kann es sein, dass sie den Angeklagten für so gut wie verurteilt halten? Dass sie deshalb nach ihren beeindruckenden Anfangserklärungen etwas zu sorglos ins Verfahren einsteigen?

Kenner des Gerichts geben hier Entwarnung. Sie erklären, dies sei alles nur ein Auftakt, in den kommenden zwei Jahren werde eine Lawine von Beweisen den Mann überrollen. Hoffentlich stimmt das - zumal doch vor allem zu Beginn dieses Prozesses die Welt auf Den Haag schaut.

Für das internationale Recht ist das Kriegsverbrechertribunal zu Jugoslawien ein Setzling, aus dem eine starke Palme wachsen soll. Alles, was hier im Moment geschieht, hat den Charakter eines Präzedenzfalls: Dieser Setzling ist klein und schwach und braucht gute Pflege.

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