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Meinung: Mission gescheitert

Das Shuttle-Programm der Nasa steht vor dem Aus

Alexander S. Kekulé Beim Start der Discovery am vergangenen Dienstag erlebten die NasaTechniker ein albtraumhaftes Déjà vu: Ein Stück Isoliermaterial von der Größe eines Leitzordners löste sich vom externen Treibstofftank und verfehlte den Shuttle nur knapp – vor zweieinhalb Jahren hatte ein nur wenig größerer Brocken den Hitzeschild der Columbia beschädigt, beim Wiedereintritt in die Atmosphäre war das Raumschiff mit sieben Astronauten verglüht.

Nach der Columbia-Katastrophe hatte die Nasa geschworen, das damals schon länger bekannte Problem beim Start abbröckelnder Schaumstoffteile in den Griff zu bekommen. In rund 100 Millionen Computersimulationen testeten die Ingenieure, wie alle nur erdenklichen Trümmer aus Eis oder Isoliermaterial abbrechen und den Shuttle treffen könnten. Alleine die „PAL ramp“ (protuberance airload ramp), von der sich jetzt beim Discovery-Start ein Stück löste, wurde in mehr als fünf Millionen Simulationen überprüft. Ergebnis: Das Design des kleinen Spoilers, der einen Kabelschacht vor Turbulenzen beim Start schützt, sei absolut sicher. Durch die zahlreichen Verbesserungen könne von der Isolierung maximal noch ein 14 Gramm schweres Stück abbrechen, zu rechnen sei aber höchstwahrscheinlich nur mit harmlosen Bröseln bis 4,5 Gramm.

Der Brocken, der sich am Dienstag von der „PAL ramp“ löste, war hundertmal so schwer. Ein Treffer am Hitzeschild hätte zur Wiederholung des Columbia-Desasters führen können. Dass es nicht dazu kam, war reines Glück: Das Isoliermaterial brach erst in der dritten Flugminute ab und schwebte seitlich davon, weil die Atmosphäre um die Discovery bereits extrem dünn war. Bei der Columbia hatte sich ein ähnliches Stück 82 Sekunden nach dem Start gelöst und wurde durch Luftwirbel gegen den Hitzeschild geschleudert. Trotz insgesamt 1,4 Milliarden Dollar, die für zusätzliche Sicherheit der Shuttlef-Fotte investiert wurden, fühlten sich die Nasa-Leute wohl wie in dem Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ – dessen unglücklicher Protagonist ist dazu verdammt, immer wieder genau dasselbe zu erleben.

Die für heute angekündigte Reparatur des Hitzeschilds der Discovery hat lediglich kosmetischen Charakter. Das elastische Füllmaterial zwischen den Hitzekacheln ist an zwei Stellen verrutscht und ragt 1,5 cm beziehungsweise 3,6 cm weit heraus. Ähnliche Defekte hatte die Nasa nach früheren Shuttle-Missionen häufig festgestellt und als ungefährlich eingestuft. Die mehreren tausend kleinen Abstandhalter sollen verhindern, dass die Hitzekacheln durch Vibrationen und Materialbewegungen beim Start aneinander reiben – für die Landephase sind ein paar Defekte im Kachelkitt eigentlich kein Problem.

Doch weil diesmal die Zukunft des gesamten Shuttle-Programms auf dem Spiel steht, darf nicht der kleinste Fussel am Schild sein: Rein theoretisch könnte sich daran beim Wiedereintritt ein Feuerschweif bilden und die Vorderkante eines Flügels überhitzen – zumindest konnten das die Simulationsrechner nicht mit Sicherheit ausschließen. So wird Astronaut Stephen Robinson heute heroisch versuchen, die beiden Füllteile aus dem Hitzeschild zu zupfen oder abzuschneiden. Nur ein Schelm mag denken, dass die Shuttle-Manager mit der hochgespielten Rettungsaktion hauptsächlich die Beinahe-Katastrophe vom Dienstag letzter Woche vergessen machen wollen.

Für das Shuttle-Programm kommt die Rettungsaktion ohnehin zu spät. Bereits am Mittwoch stornierte die Nasa alle weiteren Flüge, bis das Isoliermaterial-Problem endgültig „gelöst“ sei. Nach zweieinhalb Jahren vergeblicher Sicherheitsforschung liegt jedoch nur noch ein Lösungsvorschlag auf dem Tisch: das Shuttle-Programm komplett einzustellen. Darüber wird aber wohl erst nach der Rückkehr der Discovery debattiert werden, schon aus Rücksicht auf die Frauen und Männer im All. Die waren erst einmal froh, die Eintönigkeit der Quarantäne vor dem Start hinter sich zu haben und ließen sich ausgerechnet von dem Song „I Got You, Babe“ wecken – der Filmmusik aus „Und täglich grüßt das Murmeltier“.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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