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Meinung: Mit dem Messer gegen Aids

Hilft die männliche Beschneidung gegen das Virus?

Alexander S. Kekulé Das neueste Mittel gegen Aids funktioniert besser als jeder bisher erprobte Impfstoff. Es wird als Durchbruch für die Bekämpfung der Seuche in Afrika gefeiert. Und es ist 4000 Jahre alt: Die Beschneidung reduziert das Infektionsrisiko für afrikanische Männer um 50 Prozent.

Die im vergangenen Monat ausgewerteten Zwischenergebnisse zweier Studien aus Kenia und Uganda sind so eindeutig, dass diese vorzeitig abgebrochen wurden – den „Kontrollgruppen“ die Beschneidung vorzuenthalten, war ethisch nicht zu verantworten. In Kenia war bis September 2005 die Hälfte von 2784 HIV-negativen, heterosexuellen Teilnehmern beschnitten worden. Bis Dezember 2006 hatten sich 47 der nicht beschnittenen, aber nur 22 der beschnittenen Männer mit HIV infiziert. Die Studie aus Uganda mit 4996 Teilnehmern kam zu einem ähnlichen Ergebnis.

Die Resultate beenden eine jahrelange Auseinandersetzung über Sinn oder Unsinn eines religiösen Rituals. Darstellungen von Beschneidungen sind bereits in ägyptischen Tempelbildern zu finden. Im Alten Testament fordert Gott von Abraham, sich und all seine männlichen Nachfahren zu beschneiden, als Zeichen des Bundes zwischen Gott und den Menschen. Im Judentum und im Islam sind männliche Beschneidungen deshalb obligatorisch (übrigens kommt die Beschneidung im Koran nicht vor, auch das muslimische Ritual beruht auf der biblischen Erzählung).

Medizinisch gesehen sind die Rituale zunächst einmal lebensgefährlich. Jedes Jahr kommen in Afrika bei falsch durchgeführten Beschneidungen zahlreiche Jungen qualvoll um oder werden verstümmelt (ganz zu schweigen von der sinnlosen und grausamen weiblichen Beschneidung, die in vielen muslimischen Ländern nach wie vor die Regel ist).

Andererseits ist schon lange bekannt, dass der Anteil der Aidsinfizierten in den muslimischen Ländern Westafrikas auffallend niedrig ist, etwa im Vergleich zum christlichen Südafrika, wo nur wenige Männer beschnitten sind. Auch sind beschnittene Männer seltener mit Syphilis oder Papillomviren infiziert, die Hautgeschwüre verursachen. Nach derzeitiger Kenntnis sind daran die „Langerhans-Zellen“ schuld, die an der zarten Innenseite der Vorhaut eigentlich das Eindringen von Krankheitserregern verhindern sollen. Dem Aidsvirus und einigen anderen Erregern gelingt es, in diese immunologischen Abwehrzellen einzudringen. Im feuchten und warmen Milieu unter der Vorhaut, zumal bei mangelnder Hygiene, haben die Krankheitserreger genug Zeit, mit den Langerhans-Zellen in den Körper einzuwandern. Durch die Beschneidung wird diese Brutkammer entfernt. Zusätzlich entwickelt die ungeschützte Eichel eine Hornhaut, die für Viren und Bakterien schwerer zu durchdringen ist.

Die internationalen Gesundheitsorganisationen wollen jetzt in Afrika Beschneidungen unter medizinisch einwandfreien Bedingungen fördern. Das ist sinnvoll, weil damit Wundinfektionen und Fehler ritueller Praktiken verhindert werden können. Eine Wunderwirkung bei der Aidsbekämpfung ist jedoch nicht zu erwarten. In ethnischen Gruppen, die traditionell keine Beschneidungen durchführen, wird die Empfehlung des weißen Medizinmannes keine Wirkung haben. Wenn sich afrikanische Männer freiwillig beschneiden lassen, erhoffen sie sich Studien zufolge in erster Linie Schutz vor Aids, bessere sexuelle Erlebnisse und höhere Attraktivität bei Frauen – nach dem Eingriff sind sie meist sexuell aktiver und wechseln häufiger ihre Partner.

Auf Mitteleuropa sind die afrikanischen Studienergebnisse ohnehin nicht zu übertragen. Heterosexuelle HIV-Infektionen sind hier so selten, dass eine Reduktion des Risikos um 50 Prozent kaum Auswirkungen auf die Seuchenausbreitung hätte. Zudem sind hier andere, das Eindringen der Aidsviren fördernde Geschlechtskrankheiten seltener als in Afrika. Die Beschneidung dürfte bei mitteleuropäischen Männern deshalb kaum zur Reduktion des Aidsrisikos führen – gründliche Genitalhygiene darf aber weiterhin ohne Einschränkung empfohlen werden.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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