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Meinung: Mit der Axt argumentiert

Berlin ist beim Tarifstreit raus – und trotzdem vorneweg

Wenn das Haus brennt, sagt Berlins Finanzsenator Sarrazin, kann man nicht lange mit dem Dietrich herumfummeln; da muss man die Tür mit der Axt einschlagen.

So gesehen, hat der Senat richtig gehandelt: Nur Stunden vor dem Beginn der letzten Tarifverhandlungen zwischen den öffentlichen Arbeitgebern und den Gewerkschaften flüchtete Berlin Hals über Kopf aus dem Arbeitgeberverband – und entwindet sich damit den unmittelbaren, den erwartbar teuren Folgen von Potsdam, so oder so.

Berlin hat damit mehr zerschlagen als nur eine Tür: Das Fundament des Gebäudes wackelt. Es gibt zwar im Tarifkampf noch klare Fronten, aber keine geschlossenen Reihen mehr – und auch kein klares Kommando. Schon zeigen andere Länder Interesse, Berlin zu folgen. Und die Folgen?

Auf den ersten Blick ein scheinbar schwer durchschaubares Durcheinander. Man wird sich daran gewöhnen müssen, dass es eine, zwei, drei, ganz viele Tarifverhandlungen zu unterschiedlichen Zeiten geben wird, und dass eine Krankenschwester in Hamburg womöglich bald mehr verdienen wird als in Berlin; und dass ein Feuerwehrmann in Leipzig zwei Stunden länger löschen muss als in Köln. In Berlin hat die Axt des Senats auch noch den öffentlichen Dienst selbst gespalten: Für die direkten Mitarbeiter der Verwaltung, also zum Beispiel Erzieherinnen und Justizangestellte, müssen jetzt die Gewerkschaften neu verhandeln. Für Müllmänner und Busfahrer aber auch Universitätsangestellte gilt vorerst weiter, was bundesweit gilt – sie sind Mitarbeiter öffentlicher Betriebe, die sich der Tarifflucht des Landes nicht (noch nicht?) angeschlossen haben. Wenn dann noch ein Alleingang bei den Beamten im Bundesrat bestätigt würde, wäre alles anders, als seit Jahrzehnten gewohnt.

Auf den zweiten Blick zeigt sich die ganze – aus Gewerkschaftssicht: gemeine – Raffinesse des Senats. Gerade die doppelte, vielleicht dreifache Spaltung des öffentlichen Dienstes, die zugleich eine Schwächung ist, ermöglicht es dem Land, zu den einzelnen Brandherden vorzurücken.

Altbundeskanzler Schmidt wirft Verdi vor, allein die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten. Dazu ist die Gewerkschaft zwar eigentlich da. Der zweite Vorwurf trifft sie trotzdem, weil er stimmt: Die Arbeitslosigkeit liegt nicht im Blickfeld der Gewerkschaft, die selbst in stürmischen Zeiten auf Arbeitsplatzgarantie pocht; und das Gemeinwohl ignoriert sie nicht nur, sie berührt es. Aber der Offenbarungseid des Arbeitgebers, auf den im öffentlichen Dienst alles hinausläuft, kann nicht in ihrem Interesse liegen.

Und wie geht es jetzt weiter? Die Tür ist eingeschlagen, aber es brennt ja noch immer. Und zum Löschen braucht auch der Senat seine Feuerwehrleute. Sie werden also wieder aufeinander zugehen müssen. Das Angebot des Senats klingt gar nicht so schlecht: Fast alle können ihren Job behalten. Einen neuen würden sie auch kaum finden: Im Dezember erreichte die Arbeitslosigkeit den höchsten Stand seit der Wende.

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