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Meinung: Mit Haltung

Von Tissy Bruns

Ob Personal, Reformen oder Regierungskoalition, Kurt Beck kann überall auf Kontinuität verweisen, und das auf eine Weise, die man glaubt. Kein Richtungskampf ist in Aussicht und die Kanzlerkandidatenfrage liegt zeitlich in so weiter Ferne, dass sie für Machtkämpfe (noch) nicht taugt. Beeindruckend, dieses Krisenmanagement und die Haltung, mit der die SPD den Verlust ihres Hoffnungsträgers durchsteht. Sie hat darin Routine.

Und das ist eben ein Problem. Für jeden der letzten Wechsel – von Schröder zu Müntefering zu Platzeck – gab es je eine nachvollziehbare Begründung. Schröder konnte anders seinen Reformkurs nicht durchstehen, Müntefering sich nicht mehr auf das Maß an Loyalität stützen, das er zu brauchen glaubte. Doch jeder dieser Wechsel hat auch unterbrochen, was die SPD am dringlichsten benötigt: eine Häutung, die sie geistig auf die Höhe der Zeit bringt. Schröder, der es wie alle aus seiner Generation unterlassen hatte, die SPD in der Opposition zu erneuern, hat ihr schließlich durch Regierungshandeln diese Aufgabe aufgezwungen. Die Agenda-Reformen brauchen eine nachholende Begründung. Die SPD muss den Sozialstaat der globalisierten Informationsgesellschaft vordenken, weil der Sozialstaat der Industriegesellschaft an seine Grenzen gestoßen und zur Quelle von Ungerechtigkeit geworden ist.

Kurt Beck hat Platzecks Rücktritt in die Kategorie des Schicksalhaften eingeordnet. Damit hat er Recht. Und zu wünschen wäre der SPD, dass sie den Fingerzeig versteht, mit dem das Schicksal diesen erzwungenen Rücktritt verbunden hat. Platzecks letzter politischer Auftritt als SPD-Chef, die Vorstellung der Programmthesen, war ein Aufruf zur bewussten Diskontinuität. Die braucht die SPD noch dringender als die personelle Kontinuität, die Kurt Beck an der Spitze gewährleisten wird. Beck verfügt über genug Erfahrung und Potenzial, um die SPD in der großen Koalition zu führen. Doch „das Neue“ transportiert er, schon aus Gründen seiner Biografie, in seiner Person viel weniger als Platzeck. In knapp zwei Wochen hält er seine erste große Rede in seiner neuen Rolle. Zum Grundsatzprogramm. Eine schicksalhaft gute Gelegenheit für den Chef einer Partei, die so alt nur werden konnte, weil sie sich immer wieder verändert hat.

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