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Meinung: Mit Recht lässt sich handeln Wie die deutsche Justiz sich fast unbemerkt selbst reformiert

Richter haben viel mit Klagen zu tun, selbst klagen sie aber selten. Das ist die Kehrseite ihrer Unabhängigkeit.

Richter haben viel mit Klagen zu tun, selbst klagen sie aber selten. Das ist die Kehrseite ihrer Unabhängigkeit. Sie wollen sich nicht einmischen, Parteilichkeit ist unverzeihlich, auch Parteilichkeit für sich selbst. Diese Zurückhaltung geben sie jetzt auf. Wohl noch nie haben die Richter ein so klares Signal in eigener Sache gegeben wie auf dem Richter- und Staatsanwaltstag in Dresden in dieser Woche. Wir werden kaputtgespart, sagte der neue Vorsitzende des Richterbundes, Arenhövel. Wenn es so weitergeht, können wir nicht mehr arbeiten.

Hier irrt Arenhövel. Es wird so weitergehen – der Etat bleibt schmal, und das geplante „Modernisierungsgesetz“ für die Justiz wird nicht viel helfen. Die Richter werden dennoch weiterarbeiten. Der Ruf nach einer umfassenden Justizreform geht ins Leere – weil die Justiz sich längst selbst reformiert. Dass die meisten Richter überlastet sind, bestreitet kaum jemand. Den Staatsanwälten geht es nicht anders. Aber der Druck hat ein Ventil gefunden, eines, das wenig mit Rechtsstaat und viel mit Ökonomie zu tun hat: Man lernt, sich abzusprechen, man lernt, zu verhandeln – und dass es nicht immer Urteile braucht, um Rechtsfrieden herzustellen.

Vorangegangen ist die Strafjustiz. Noch nie wurden so viele Verfahren eingestellt wie heute. Das Legalitätsprinzip, das Staatsanwälte zwingt, zu ermitteln und anzuklagen, wenn der Verdacht stark genug ist, nannte der Strafverteidiger Eberhard Kempf auf dem Richtertag eine „Rechtsstaatsillusion“. Der Rechtsstaat kann sich keine Illusionen mehr leisten. Und nimmt keinen Schaden, wenn er sich von einigen verabschiedet. Wichtig ist nicht das Urteil, wichtig ist, dass auf eine Straftat überhaupt reagiert wird. Helmut Kohl etwa gilt als unbestraft, weil das Untreue-Verfahren gegen ihn eingestellt worden ist. Aber er musste büßen – und zahlen.

Gleiches gilt für den „Deal“, die Absprache zwischen Anwalt, Staatsanwaltschaft und Gericht. Er gehört längst zum Alltag, verkürzt die Verfahren und spart wegen der häufigen Bewährung Millionen-Ausgaben für Haftplätze. Ein Skandal? Eher nicht. Der Deal hat den Segen der höchsten Gerichte. Dass Bürger sich deshalb angestachelt fühlen, Strafgesetze zu brechen, ist nicht zu beobachten. Auch die Ziviljustiz versucht zunehmend zu schlichten, bevor sie richten muss. Ein Landgericht leistet sich sogar bereits eine Art Vermittlungsrichter, der gleich rechtsgültig protokolliert, wenn sich die Streitenden unter seiner Leitung geeinigt haben – und ein förmliches Verfahren vermeiden.

Die Justiz sucht nach Wegen aus der Not – und findet sie. Sie ist moderner, als sie denkt.

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