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Meinung: Mit Scharfsinn für das Unrecht Warum haben die Eliten dem Nazireich gedient?

Wer weiß, wer Friedrich Weißler war? Am Sonnabend wurde in der Gedenkstätte Sachsenhausen eine Stele enthüllt, die an den ersten protestantischen Märtyrer unter der NS-Diktatur erinnert, zugleich an den ersten Richter, der damals wegen seiner zeugenhaften Treue zum Recht ermordet wurde, am 19.

Wer weiß, wer Friedrich Weißler war? Am Sonnabend wurde in der Gedenkstätte Sachsenhausen eine Stele enthüllt, die an den ersten protestantischen Märtyrer unter der NS-Diktatur erinnert, zugleich an den ersten Richter, der damals wegen seiner zeugenhaften Treue zum Recht ermordet wurde, am 19. Februar 1937. Ein doppelter Märtyrer also: des Rechts wie des Evangeliums. Und dies beides als Jude.

Weißler hatte am 15. Februar 1933 als Richter in Magdeburg gegen einen Nazi-Flegel zu verhandeln, der nun im Gerichtssaal in einer SA-Uniform einschüchternd auftrat. Weißler verhängte eine Ordnungsstrafe – und wurde zur Zielscheibe nationalsozialistischen Terrors, im Übrigen aber von der windelweichen bürgerlichen Justiz feige im Stich gelassen. Als Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg konnte er zwar nicht nach dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ entlassen werden. Dennoch wurde er vor die Tür gesetzt: Er biete nicht die Gewähr, jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat einzutreten, Unterschrift: Roland Freisler.

Der Ausgestoßene wird danach Chefjurist der Bekennenden Kirche, selbst von dieser aber schließlich fallen gelassen, als er einer kritischen Denkschrift an die Adresse Hitlers dann doch zur Öffentlichkeit verhalf – die vom „Führer“ natürlich ignoriert wurde. Alsbald wurde er verhaftet, geriet ins KZ Sachsenhausen und wurde dort bestialisch zu Tode getrampelt.

Dass wir uns solcher Märtyrer erinnern sollen: eine Selbstverständlichkeit! Doch mit jeder Erinnerung an aufrichtige Blutzeugen müssen wir uns auch all jener erinnern, die weder den Mut zur Aufrichtigkeit aufbrachten noch wenigstens die Geste der Solidarität wagten.

Das ist übrigens auch einer der Gründe dafür, dass die Erinnerung mitunter so zögernd einsetzt – ähnlich wie im Fall des jüdisch-protestantischen Pfarrers Hans Ehrenberg in Bochum, der von seiner Kirche ebenfalls aus dem Dienst gedrängt worden war. Es lebten und wirkten in der Nachkriegszeit noch zu viele, die ihre Haut mit feige-klugen Kompromissen gerettet oder die gar tüchtig mitgeheult hatten, auch viele Juristen und auch manche Kirchenleute, aus deren Munde man das Wort Märtyrer nicht gerne gehört hätte.

Nun haben wir Nachgeborenen ja brav unsere Lektion gelernt: Wie hätten wir uns in einer ähnlichen Situation verhalten? Ja, ich weiß, ich weiß – ich weiß es nicht. Aber man kann seine Lektion auch zu gut lernen. Und dann wird sie ganz falsch. Es bleibt für mich ein unstillbarer Skandal, dass zu Beginn des Dritten Reiches genau jene Eliten am schnellsten umgefallen sind, die aufgrund ihrer Vorbildung und ihres Berufsethos noch am ehesten hätten erkennen müssen, was da gespielt wurde: viele Juristen, Theologen und Universitätsprofessoren.

Was nutzen Jahre des Studiums des Alten wie Neuen Testaments, wenn das nicht vor krudem Antisemitismus auf Kanzeln und in Bischofskanzleien schützt? Wozu brüten angehende Juristen jahrelang über Pandekten und Gesetzbüchern, wenn sie bei der ersten Probe Recht von Unrecht nicht unterscheiden können, ja dem Unrechtsregime mit all ihrem Scharfsinn ebenso eifrig dienen, wie hinterher wieder der Demokratie?

Nochmals: Ja, ja – ich weiß, dass das Wissen noch nicht den Willen formt. Aber gerade deshalb darf die Erinnerung an einen Märtyrer wie Friedrich Weißler nicht abgetan werden mit der Frage: Wie hätte ich mich wohl selber verhalten? Sondern sie muss münden in eine standfeste Antwort auf die Frage: Wie werde ich mich verhalten, falls es wieder einmal drauf ankommt, im Kleinen wie im Großen? Vielleicht schon morgen, wenn neben mir ein Neonazi einen Mitmenschen anpöbelt.

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