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Meinung: Mit Sicherheit paradox

Otto Schilys Stärke geht zu Lasten des liberalen Rechtsstaats

Oft ist in der Politik nichts stabiler als ein solides Paradox. Und wenn etwas voller Paradoxien steckt, so ist dies die politische Laufbahn von Otto Schily. Als Innenminister ist er Schröders Fels in einer ansonsten turbulenten Regierung. Und das – Paradox Nummer eins – , obwohl Gerhard Schröder ihn im Wahlkampf 1998 zwar als Innenexperten benannte, aber nie damit rechnete, ihn zum Innenminister zu machen. Schröder hatte bis zum Tag vor jener Wahl auf eine große Koalition gehofft – und damit auf einen Innenminister der Union. Wer hätte sich auch vorstellen können, dass ein Anwalt, der vormals Häftlinge aus dem Sicherheitstrakt im Geiste schneidender Staatskritik verteidigt hatte, eines Tages zum schneidigen Sicherheitsminister würde, der Staatskritiker fast mit Verachtung traktiert? Doch heute ist Schily immer noch der erste sozialdemokratische Bundesinnenminister. Und wenn nicht alles täuscht, wird es auf viele Jahre keinen SPD-Nachfolger geben.

Nach der Wahl war klar: Das Innenministerium konnte nicht in die Hand der Grünen fallen. Warum dann aber an einen Sozialdemokraten, der ein prominenter Grüner gewesen war? Hier wirkt Paradox Nummer zwei. Gerade jemand, der die grüne Partei im Streit hinter sich gelassen hatte, bot die Gewähr dafür, sich überkompensatorisch vom grünen Milieu abzusetzen. Ob es um die doppelte Staatsbürgerschaft ging, um die materielle Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften mit der Ehe oder um das Zuwanderungsgesetz: Stets scheint es Schily geradezu eine Lust zu bereiten, die Grünen abzubürsten. Jedenfalls eines hat er zuverlässig verhindert: dass die Union die SPD als ein Risiko für die innere Sicherheit darstellen konnte. Diese Sonderrolle hat aber ihre Bedingungen und Kosten.

Nur dank der Blockademehrheit der Opposition im Bundesrat vermag Schily die libertären Tendenzen im rot-grünen Lager derart schroff in Schach zu halten. Überdies könnte Schily kaum so frei schalten und walten, wenn das Innen- und das Justizministerium, wie bisher üblich, zwischen den Koalitionspartnern verteilt worden wären. Brigitte Zypries ist vom Typ her eher eine kompetente Beamtin als eine Vollblutpolitikerin; sie war außerdem zuvor Staatssekretärin unter Schily gewesen: Was will man da an Widerstand gegen das Alpha-Ego-Tier erwarten?

Zu den Kosten: Das Gleichgewicht zwischen Innen- und Justizpolitik ist nicht mehr gewahrt; bei den zweiten Koalitionsverhandlungen 2002 war das Justizministerium als key player nicht präsent. Bis heute gibt es keine liberal profilierte Rechtspolitik mehr. Gelegentlich steigt Schily diese Sonderstellung auch zu Kopfe, siehe die gebremste Verlagerung des Bundeskriminalamtes nach Berlin. Selbst der Kanzler ist über einige Selbstherrlichkeiten Schilys irritiert.

Und so gilt nun auch das Paradox Nummer drei: Der Innenminister profitiert von der Schwäche seines Kanzlers – und der Kanzler von der Stärke seines Innenministers. Gesund ist dieser Zustand eigentlich nicht. Aber stabil.

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