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Meinung: Modernes Denken (9): Markenartikel Evolution

Wie wird unsere Zukunft aussehen? Welche Chancen, welche Gefahren, welche Antworten gibt es?

Wie wird unsere Zukunft aussehen? Welche Chancen, welche Gefahren, welche Antworten gibt es? In einer gemeinsamen Serie mit DeutschlandRadio Berlin unter dem Titel "Modernes Denken" gehen prominente Autoren diesen Fragen nach. Zu hören sind die Beiträge jeweils am Sonntag um 12 Uhr im DeutschlandRadio Berlin (UKW 89,6).

Wer die Gene beherrscht, besitzt in unserem "Zeitalter der Biotechnik" eine unvorstellbare Machtfülle. Noch hat unsere Welt die Wahl: die Entscheidung zwischen einem sanften und einem harten Weg in die biotechnologische Zukunft. Die sanfte Straße bevorzugen jene, die die Gesetze der Natur achten und sich an ihnen orientieren. Bedauerlicherweise aber ist die Menschheit längst auf dem harten Weg unterwegs, der den kommerziellen Mehrwert des Lebens und die Herrschaft der Bio-Konzerne bedeutet. Klugerweise sollten wir noch rechtzeitig ein Stoppzeichen setzten, denn in letzter Konsequenz verheißt der harte Weg nichts anderes als das Ende der Humanität.

Vor diesem Hintergrund muss leidenschaftlich davor gewarnt werden, der Industrie mit der Möglichkeit von Genpatenten einen Blankoscheck für die Ausbeutung natürlicher Güter auszustellen. Und: Wir brauchen noch mehr öffentliche Diskussion, auch wenn in Ländern wie den USA, Großbritannien und Deutschland die Öffentlichkeit allmählich aufwacht und nicht länger die Augen vor den großen Gefahren verschließt. In voraussichtlich weniger als 10 Jahren könnten einige Unternehmen den vollständigen genetischen Plan der menschlichen Spezies in Form von intellektuellem Eigentum besitzen. Sie sind auch dabei, den genetischen Plan von Tieren zu knacken und zu patentieren. Das Ergebnis von Millionenjahren der Evolution wird dann kommerzielles und intellektuelles Eigentum einer Handvoll global operierender Konzerne sein.

Was bedeutet das für Sie und mich? Wer beispielsweise in einigen Jahren einen diagnostischen Test anstrebt, um herauszufinden, ob bestimmte Erbkrankheiten oder gesundheitsschädliche Gene vorhanden sind, wird kräftig zur Kasse gebeten. Ein "normaler" Gentest kostet in den USA etwa 50 Dollar. Ein patentierter Gentest aber könnte unter kommerziellen Gesichtspunkten leicht 2000 Dollar kosten. Es ist schon jetzt klar, dass gewöhnliche Versicherungen dies nicht bezahlen werden. Wir könnten dann diese herausragende Möglichkeit für ein vorbeugendes Gesundheitssystem verlieren, weil sich nur sehr Wohlhabende künftig diagnostische Gentests leisten können.

Es kann auch nicht sein, dass jeder, der das Patent auf ein Gen erhält, nur weil er seinen Nutzen beschrieben hat, Geld von allen verlangen könnte, die das Gen zu Forschungszwecken verwenden. Die großen biowissenschaftlichen Unternehmen argumentieren seit längerem, dass der Genvorrat der Welt ein Gemeingut sei und sie darum das Recht hätten, jedes Gen zu isolieren, zu synthetisieren, seinen Nutzen zu bestimmen und es dann als ihr geistiges Eigentum zu beanspruchen. Dem widersetzen sich die Entwicklungsländer. Und es sind vor allem die Nationen der südlichen Hemisphäre, die Gene als Ressourcen betrachten, als Rohstoffe, die in ihrer Bedeutung den Ölvorkommen gleichen.

Der Genvorrat sollte in der Tat als Gemeingut angesehen werden, als unser aller Erbe und Entdeckung in der Natur, wie es beispielsweise die chemischen Elemente sind, auf die Chemiker Anwendungspatente bekommen, aber keine Produktpatente. Aber gerade weil wir hier von Gemeingut reden, kann und darf der Genvorrat nicht in Privateigentum überführt werden. Das heißt: In dieser Frage muss die Souveränität eines Landes entkoppelt werden von jeglicher kommerzieller Überlegung.

Worauf kommt es jetzt entscheidend an? Nichtregierungsorganisationen aus zahlreichen Ländern sind gerade dabei auszuarbeiten, wie mit Genen im Biozeitalter umzugehen ist. Wichtig ist hier vor allem eins: Der gesamte Genvorrat des Lebens, unser höchstes Erbe, muss in gemeinsamer Verantwortung als globales Gemeingut verwaltet werden. Jede Regierung sollte einen Vertrag unterschreiben, der den Genvorrat und alle von ihm kodierten Produkte davor schützt, wie eine gewöhnliche Handelsware oder geistiges Eigentum behandelt zu werden.

Vorbild sollte das Abkommen über die Antarktis sein, ein Kontinent, der keiner Firma und keiner Nation gehört. Wäre das nicht ein wunderbarer Beleg dafür, dass die Menschheit endlich erwachsen geworden ist nach so vielen Jahrhunderten der Zerstörung? Und wäre dies nicht Ausdruck für ein tiefes Verständnis unserer Verantwortlichkeit für den immanenten Wert des Lebens?

Der Autor, einer der bekanntesten Verbraucherschützer der USA, gehört seit Jahren zu den profiliertesten Kritikern der Gentechnik-Industrie.

Jeremy Rifkin

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