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Mon BERLIN: Baron und Cavaliere

Ich will einen Wechsel. Seit Wochen plane ich Geheimverhandlungen mit dem Korrespondenten in Italien.

Ich will einen Wechsel. Seit Wochen plane ich Geheimverhandlungen mit dem Korrespondenten in Italien. Ich will, dass wir unsere Posten tauschen. Er in Berlin. Ich in Rom.

Man muss nur den Fernseher anstellen, und schon erkennt man, wie frivol sein Leben ist, wie bierernst meins. Was sieht er in Rom auf dem Bildschirm? Aufreizende Lolitas mit Brüsten wie Wassermelonen und kollagengepolsterten Lippen, mit glitzernden Madonnenmedaillons im Dekolleté und engelsgleichem Lächeln. Und in Berlin? Ein Tribunal von trockenen Juristen, die, eine nach der anderen, die Fußnoten einer Dissertation abklopfen. In Italien: „Bunga Bunga“. In Deutschland: „Verfassung und Verfassungsvertrag. Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU“. Während mein Kollege sich von den Sexorgien seines Cavaliere in luxuriösen Mailänder Villen erheitern lässt, muss ich mir anhören, wie der Präsident der Universität Bayreuth die drögen Ausführungen der Promotionskommission der rechts- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät wiedergibt, die „Herrn“ zu Guttenberg den verliehenen Doktorgrad aberkennt.

Auf den Bühnen der italienischen Talkshows spielt sich eine atemberaubende Sittenkomödie ab, mit schlüpfrigen Offenbarungen, Hand-aufs-Herz-Tiraden, wüsten Schmähreden, Tränen, Gekreisch. Italien: ein gigantisches Bordell. Die Sofas der deutschen Talkshows: okkupiert von Verfahrenskrämern, von düsteren Moralisten. Alle deuten mit dem Zeigefinger auf den Sünder und schreien Hochstapler, Lügner, Betrüger. Die Kirchenmänner werden zu Hilfe gerufen und sogar Jutta Ditfurth erscheint plötzlich aus der Versenkung und kreiselt als selbsternannte Virtuosin in Adelbashing über die Bildschirme. „Was soll der Quatsch mit meinem Baroness-Titel!“ Wer den Fernseher einschalten würde, ohne den Kontext zu kennen, könnte sich in die Zeiten Robespierres zurückversetzt glauben.

Zwei Länder. Zwei politische Kulturen. Natürlich kann man über Karl -Theodor zu Guttenbergs Plagiat nicht einfach hinweggehen. Aber ganz sicher ist diese riesige Aufregung außerhalb der deutschen Grenzen nur schwer nachzuvollziehen. Von Paris aus gesehen stellt sich die Diskussion über den Doktortitel Karl -Theodor zu Guttenbergs eher surrealistisch dar. Mit unserem von Skandalen geschüttelten politischen Personal können wir nur schwer verstehen, warum die Deutschen einem akademischen Grad eine dermaßen große Bedeutung einräumen. Weshalb macht man so viel Wind um ein kleines Dr. vor dem Namen? Für uns ist der Titel eher ein lästiges Anhängsel. In Frankreich ist ein Docteur ein Arzt. Fertig. Einen Akademiker Docteur oder Professeur zu nennen, wirkt altmodisch und provinziell. Ein Stilbruch.

Was mich hier irritiert, ist die Häme, mit der manche die Gelegenheit zur Abrechnung nutzen. Genau diejenigen, die diesen strahlenden Sonnyboy in der grauen deutschen Politik vor nicht allzu langer Zeit noch in den Himmel gehoben haben, beteiligen sich voll Freude daran. Das mediale Fußvolk empfindet ein sadistisches Vergnügen daran, den Kopf des hübschen Barons vom Schafott rollen zu sehen.

Wie ist es aber zu erklären, dass die Mehrzahl der Deutschen Karl- Theodor zu Guttenberg treu bleibt? Die Ärmsten glaubten, sie hätten endlich ihren Helden gefunden: gutaussehend, charismatisch, jung, redegewandt, christlich, mit einem Schloss in Oberfranken und einer blonden Gattin, fast so sexy wie Marilyn Monroe, als sie vor Weihnachten auszog, die Moral der Truppen an der afghanischen Front aufzurichten. Ein Mann, der das ganze Arsenal der konservativen Werte verkörpert: Ehre, Treue, Disziplin, Autorität, Vertrauen …, an die die Deutschen sich in diesen unsicheren Zeiten so klammern. Bei den Guttenbergs war die Welt noch in Ordnung. Der „Freiherr“ war die Kirsche auf dem Sahnehäubchen. Klasse und Glamour. Ein Schuss Rosamunde Pilcher, Royal Family und Ritterburg. Karl-Theodor zu Guttenberg, eine Projektionsfläche für die Sehnsüchte der Deutschen? So leicht gibt man seinen Traum nicht auf.

Aus dem Französischen

übersetzt von Elisabeth Thielicke.

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