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Mon Berlin: Das Café Adler verlässt den amerikanischen Sektor!

Es gibt Orte, die werden ihrer Geschichte nicht gerecht. Ebenso wie die Place du tertre in Paris und die Carnaby Street in London ist der Checkpoint Charly ein solcher Platz. Nur im Café Adler ist dem Gefühl des Kalten Krieges noch nachzuspüren.

Bestimmte Orte in den Großstädten des alten Europa vertreiben einem jede Lust, noch einmal im Leben ein Geschichtsbuch aufzuschlagen. Besonders wirksam ist da ein Spaziergang bei den Amateur-Aquarellmalern in Paris. Wenn man sie an der Place du Tertre am Montmartre sieht, mit ihren Staffeleien, Paletten und Baskenmützen, dann kann man Toulouse-Lautrec und das ganze 19. Jahrhundert nur noch verabscheuen. Und man muss nur einen Nachmittag zwischen den afghanischen Fellmänteln und den Räucherstäbchen in der Carnaby Street verbringen, um für immer die irgendwo schlummernde Nostalgie von Flower Power und 60er-Jahren abzutöten.

Der Checkpoint Charlie macht aus der deutschen Teilung, diesem großen und den Bewohnern der Stadt noch so gegenwärtigen Kapitel der Berliner Geschichte, einen lächerlichen Bazar. Auf dem Bürgersteig steht der Kalte Krieg zum Verkauf: seine Vopo-Mützen, seine Uhren mit dem Leninbild, seine Armbinden „Helfer der Volkspolizei“, seine russischen Pilotenmützen, seine Hämmer und seine Ambosse … „Manchmal auch echt“, gibt die Verkäuferin an einem Stand zu. Für die Wuppertaler Jugendlichen auf Klassenfahrt ist das schon ein bisschen Vorgeschichte. Eine so ferne Zeit. Florian mit seinen aknezerfressenen Wangen schwenkt die rote Fahne. Lukas, die Fellmütze mit den Ohrenklappen auf dem Kopf und die Colaflasche in der Hand, marschiert im Stechschritt. Laura hat sich ein Voposchiffchen auf das rote Haar gesetzt. Und am liebsten würde man ihren Geschichtslehrer in die Arme nehmen, so traurig und erschöpft sieht er aus. Genervte Japaner werfen sich vor dem versiegelten und kaum erkennbaren Mauerstück in Pose. Lächeln! Klick. Klack. Fertig! Ein Doppeldeckerbus fährt vorbei. Er verlangsamt kurz. Hinter den abgedunkelten Fenstern und den kleinen Vorhängen ihres südseeblauen Exklusiv-Reisebusses starren schwäbische Rentner die Mauerruinen an. Vier Minuten Panaromablick auf 28 Jahre deutsche Geschichte, und schon biegt der Bus in Unter den Linden ein, anderes Jahrhundert, anderes Kapitel. Auf Wiedersehen Honecker, Guten Tag Friedrich II. von Preußen.

Der Checkpont Charlie ist ein Engpass. Es riecht nach Pizza und altem Fett. Hupen. Velotaxis. Gewühl. Seit Jahren habe ich mich nicht mehr in dieser Ecke von Berlin aufgehalten. Dabei war ich ganz regelmäßig hierhergekommen, als die Mauer anfing zu zerbröckeln. Bei einer Verabredung finde ich mich eines Morgens zufällig vor dem mythischen Schild wieder: „YOU ARE LEAVING THE AMERICAN SECTOR“. Aber ich erkenne nichts mehr. Ich muss die Augen schließen, um mich an die Zeit zu erinnern, als der Checkpoint Charlie eine schweigende Luftblase war. Der beißende Geruch der Trabis, Delegationen von Genossen der Französischen Kommunistischen Partei mit ihrem unverwüstlichen Glauben – am Checkpoint Charlie kippte man in eine andere Welt.

„Der Kapitalismus kennt keine Gnade. Wir sind nicht mehr von dieser Welt“, sagt der türkische Kellner im Café Adler. Der Checkpoint Charlie, einst die Sackgasse von West-Berlin, ist jetzt zu einem wichtigen Objekt der Immobilienspekulation geworden. Das Café Adler wird bald schließen. Durch die hohen Fenster seines Lokals betrachtet der Ober den alltäglichen Zirkus. Seine Kohlrabisuppe und sein Tomatenconsommé haben nicht die geringste Chance gegen den Triumph der gastronomischen Globalisierung, gegen Chinapfanne, Asia Sushi, Chips and Cookies, Chicken Wings.

Das Café Adler ist das einzige Relikt vergangener Zeiten. Hier trafen sich die ausländischen Journalisten mit ihren Informanten, den in den Westen geflohenen Dissidenten der DDR, den Journalisten der „taz“. Hier tauschte man Adressen und Kontakte aus. Hier trank man das erste Glas Sekt mit den fassungslosen Ossis, die in der Nacht des 9. November gerade die Mauer passiert hatten. Das Café Adler ist ein wahrer Ort des Kalten Krieges, ein Museum, 1000-mal authentischer als der ganze kitschige Krempel auf dem Gehweg gegenüber. Die Marmortische, die mit verschossenem grünem Samt bezogenen Polsterbänke, das Fliesenmosaik auf dem Boden, die großen Spiegel an den Wänden – sie alle können viel mehr von der Geschichte erzählen als die Matrjoschkas und die falschen Mauersplitter. Und wenn das Café Adler einmal nicht mehr da ist, werden wenige Minuten am Checkpoint Charlie genügen, damit man vor der Erinnerung an den Kalten Krieg fliehen möchte.

Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

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