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 Pascale Hugues schreibt für das französische Magazin "Le Point".

© Tsp

Mon Berlin: Die Nackten und die Hunde

Sind Sie mit Berlin-Novizen schon einmal um den Grunewaldsee spaziert? Haben Sie ihre Überraschung gesehen und versucht, auf ihre neugierigen Fragen zu antworten: Oh, was für eine hübsche Deko, aber was steckt denn in den vielen kleinen Beuteln in den Zweigen und an den Geländern, die die Böschung absichern?

Sind Sie mit Berlin-Novizen schon einmal um den Grunewaldsee spaziert? Haben Sie ihre Überraschung gesehen und versucht, auf ihre neugierigen Fragen zu antworten: Oh, was für eine hübsche Deko, aber was steckt denn in den vielen kleinen Beuteln in den Zweigen und an den Geländern, die die Böschung absichern? Eine charmante Tradition der Einheimischen? Originelle Verstecke für die Ostereier? Eine Schnitzeljagd für einen Kindergeburtstag oder ein Pfadfinder-Abenteuer? Ein erregendes Geheimnis …

Für uns Berliner ist es nicht einfach: Sobald wir unseren Gästen verraten haben, was die Säckchen enthalten, nämlich Hundekot, tausende und abertausende Hundehäufchen, müssen wir versuchen, dieses – in einem so auf Hygiene und Ordnung bedachten Land – einzigartige Phänomen zu erklären. Unübersehbar hängen manche Tüten schon seit mehreren Tagen in der Sonne. Mir wird übel, wenn ich mir vorstelle, wie ihr Inhalt durch die Plastikhülle schwitzt. Und dann dieses unverkennbare Aroma, das den so idyllischen See ständig einnebelt.

Als ich in diese Stadt zog, illustrierte der Grunewaldsee alle romantischen Fantasien der Franzosen über Deutschland: das kleine Jagdschloss mit den roten Dächern aus Renaissance und Barock, die Hauer der Wildschweine und anderes Geweih an den Hofmauern, der silbrige See, der dunkle hügelige Wald. Aber auch die Kundschaft des Gasthauses am Sonntagnachmittag: die dicken, stark gepuderten Damen, zu sehr herausgeputzt, die mit ihren winzigen Kuchengabeln in gigantischen Schwarzwäldertorten stochern und ein Kännchen bitteren Filterkaffee schlürfen. Die Globalisierung hat den Espresso stretto noch nicht an die Ufer des Grunewaldsees fließen lassen. Eine in einer anderen Zeit, in einem anderen Universum zwischen Caspar David Friedrich, Hänsel und Gretel und einem Hauch bayrischer Folklore stecken gebliebene Welt.

Wenn ich also ausländischen Gästen Berlin zeigen will, schlage ich immer den Grunewaldsee vor. Und manchmal vergesse ich, dass er auch das größte Hundeauslaufgebiet von Berlin ist, ein Ort, an dem sich die Beziehungen zwischen Mensch und Hund besonders gut studieren lassen.

Eines Tages ließ ich mir von zwei städtischen Angestellten am Rand der Verzweiflung erklären – sie mussten mit einer langen Forke einen Beutel nach dem anderen aufspießen und in einen großen Müllsack stopfen –, der Bezirk habe die Mülleimer entfernen lassen, weil die Seebenutzer ihre Abfälle sowieso danebenwerfen würden oder die Behälter nach ein paar Stunden überlaufen. Gewissermaßen ein Kurs in Staatsbürgerkunde: Die Berliner sollen zur Sauberkeit gezwungen werden, sie sollen veranlasst werden, ihren Müll und ihre Kotbeutel mit nach Hause zu nehmen und in die eigene Mülltonne zu werfen.

Eine Argumentation, die, wie ich finde, von einem überschwänglichen Glauben an die Menschheit zeugt. Die beiden unglücklichen Angestellten müssen die Folgen des pädagogischen Experiments ausbaden. Und ich frage mich, wo die Hundehaufen ihren Platz in der strengen häuslichen Mülltrennung finden: Kompost? Restmüll?

Sobald das Entsetzen Ihrer Gäste sich gelegt hat, setzen Sie den Spaziergang mit leichterem Herzen fort. Sie brauchen nicht lange zu warten. Nach ein paar Schritten stoßen Sie am Nordwestufer auf eine Horde Herren, die den Uferweg überqueren, nackt, wie riesige Würmer, lediglich mit Plastiklatschen und ihrer wie altes Leder gegerbten Haut bekleidet. Das ist der „Bullenwinkel“, der FKK-Strand, wo die Hunde mehr tragen als die Menschen. Und spätestens da erstarren die Franzosen und die Engländer in blanker Panik.

Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

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