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 Pascale Hugues schreibt für das französische Magazin "Le Point".

© Tsp

Mon BERLIN: Es regnet keine roten Rosen mehr

Bei ihrem ersten gemeinsamen Abendessen schenkte mein Onkel meiner Tante den ganzen Korb mit roten Rosen - und damit hat er sie für sich gewonnen. Diese Form von Romantik ist leider völlig aus der Mode gekommen.

Wie Schatten gleiten die Nomaden der Berliner Nacht in die Restaurants, schlängeln sich zwischen den Tischen und den Gesprächsfetzen hindurch. Eine Rose? Die Stimme ist scheu. Der Akzent kommt von weit her, Pakistan, Bangladesch.

Die Paare sehen nicht einmal auf. Die Männer machen mit dem Kopf ein ärgerliches „Nein“, dazu eine brüske Geste mit der Hand, als wollten sie ein lästiges Insekt erschlagen. Es ist leichter, einen Rosenverkäufer in die Wüste zu schicken als einen Obdachlosen, der einem seine „Motz“, seine traurigen Cockerspanielaugen und eine Portion schlechtes Gewissen unter die Nase hält. Schon lange verstößt es nicht mehr gegen den Kodex des Gentlemans, wenn er einer Frau eine Rose verweigert. Heute rechnet der Gentleman im Kopf rasch nach: Diese Rose ist teurer als das Dutzend, das ich morgen auf dem Markt kaufen könnte, kurz vor Schluss, wenn die nicht mehr ganz frischen Blumen und Gemüse zum halben Preis verramscht werden.

Traditionell schenkt man Rosen zum Valentinstag oder zum Muttertag. Die Rose wird von eiligen Männern und von besorgten Vätern bevorzugt, die damit um Verzeihung für die häufige Abwesenheit von zu Hause bitten möchten. Aber kommen die Rosenverkäufer nicht gerade aus der Mode – mitgerissen vom Orkan der Frauenemanzipation? Am 8. März, dem internationalen Frauentag, schenkte ein Mann am Nebentisch seiner Gefährtin eine feuerrote Rose. Rot wie die Revolution, nicht wie l’amour fou.

Mein Onkel war der letzte große Romantiker, Überlebender aus einem anderen Jahrhundert. Er öffnete den Damen die Tür, half ihnen in den Mantel, verwöhnte sie mit zarten Handküssen und Girlanden von Komplimenten, erhob sich vom Stuhl, sobald die Hausherrin ihre Gäste verließ, um in der Küche die Lammkeule zu überwachen. Ich erinnere mich an fast groteske Abendessen, bei denen mein Onkel das Kommen und Gehen seiner Frau wie ein Hampelmann begleitete: stehen, sitzen, stehen, sitzen. Den Tischgenossen wurde schwindlig. Sehr verliebt und sehr altmodisch. Mein Onkel war sehr vieille France, „altes Frankreich“, diese Mischung aus unzeitgemäßer Höflichkeit, traditioneller Erziehung und altem Bürgertum, das sich seines Status und seiner Rituale sehr sicher war.

Bei ihrem ersten gemeinsamen Dinner schenkte mein Onkel meiner Tante den ganzen Korb mit roten Rosen. Wohlweislich hatte er dem Rosenverkäufer vorher einen Geldschein zugesteckt, mit der Bitte, ihm eine ungerade Zahl von Blumen zu präsentieren. Eroberung im Sturm. Drei Tage später wurde der Heiratsantrag angenommen. Immer wieder erzählte meine Tante stolzgebläht von diesem umwerfenden Verführungsmanöver.

Jahre später sah ich, wie die Eroberungen mit eben diesem Stolz in einem U-Bahn-Waggon ausgebreitet wurden. Es war am Valentinstag in der Londoner Underground. Auf den abgeschabten Bänken spielte sich ein hinterhältiger Wettbewerb ab. Einige Frauen lasen demonstrativ in dem Stapel Karten, die sie am Morgen erhalten hatten. Ein „I love you“ folgte dem nächsten. Andere hatten eine oder auch zwei Rosen ins Knopfloch gesteckt. Ein Lächeln in den Mundwinkeln, die Wangen leicht errötet. Seht nur, wie sie mich lieben! Ich bin zwei Rosen wert!, schien eine zu sagen. Fünf Karten!, trumpfte ihre Nachbarin auf. Sie jubilierten. Die Passagierin, die die meisten Liebesworte bekommen hatte, war an dem Morgen die gesalbte Königin der Jubilee Line.

Diese Form von Romantik ist völlig aus der Mode gekommen. Heute sterben die Rosen mit gesenkten Köpfen und verwelkten Blättern in ihren Zellophanhüllen. Grob abgefertigt wie gewöhnliche Bettler treten die Rosenverkäufer auf die kalte Straße, den Korb unter dem Arm, die Füße halb erfroren, und versuchen ihr Glück anderswo. Und nun kommt der Zeitungsverkäufer herein. Er respektiert die Intimität, die sich um den Tisch gesponnen hat, weit weniger. Er baut sich vor den Gästen auf, unterbricht ihr Gespräch, überschüttet sie mit einem zusammenhanglosen Wortschwall. Wenn er wenigstens noch die Schlagzeilen zitieren würde, aber nein, der Mann ist ein Moralist. Er kommentiert die Tagesereignisse. Mit düsterer Stimme kündigt er den Weltuntergang an und warnt vor den Plagen der Menschheit.

Mit hängenden Schultern sitzt man am Tisch und bedauert es, dass man den Rosenverkäufer so barsch abgewiesen hat.

Aus dem Französischen

übersetzt von Elisabeth Thielicke.

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