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Mon BERLIN: Karneval in Berlin? Verbieten!

Die Trauerveranstaltung, die sich in Berlin Karneval nennt, sollte verboten werden. Stattdessen sollte die Deutsche Bahn die Frohnaturen mit Sonderzügen an die Ufer des Rheins bringen. Denn das Original ist immer besser als die Fälschung.

Wenn man in einer Adoptivstadt lebt, ist es lebenswichtig, ein paar Bruchstücke seiner ursprünglichen Identität zu bewahren. Jeder Auswanderer klammert sich mit aller Kraft an ein Ritual der fernen Heimat, um nicht einen Teil seiner selbst zu verleugnen. Eine verzweifelte, oft lächerliche Geste, ein letzter Hemmschuh, bevor man sich komplett assimiliert hat.

Gehen Sie am 6. Januar ins KaDeWe, und Sie werden die vollständig angetretene französische Gemeinde sehen, wie sie im Gänsemarsch an der Theke von Lenôtre vorbeidefiliert. Die Franzosen suchen ihre Galette des Rois, einen Kuchen aus Blätterteig und Mandelcreme, der an diesem Tag zu Ehren von Kaspar, Melchior und Balthasar geteilt wird. Man grüßt sich, man unterhält sich, man lacht … man ist unter sich, man ist fast zu Hause. Und das tut gut. Die Amerikaner in Berlin haben ihren Identitätsschub zu Thanksgiving, die Italiener am 15. August, dem Tag der Madonna. Und um nicht vom Heimweh ergriffen zu werden, basteln die Rheinländer sich im Februar am Ufer der Spree einen Ersatzkarneval. Ein kleiner Fasching, mickrig und unendlich traurig.

Ach nein, die City West ist wirklich nicht Rio! Keine Sambaschulen, kein Hüftschwenken. Auf der Tauentzienstraße vibriert die Luft nicht vor Ekstase und Sex. Berlin ist auch nicht Basel, wo unheimliche Trommelwirbel die schwarze Nacht erfüllen. Aber vor allem bleibt Berlin der Wahnsinn von Köln und Düsseldorf fremd, der kilometerlange Zug, die vier Tage lang lahmgelegten Büros und Schulen. Dieser große kollektive Rausch, diese gesetzlose Zeit, in der alles erlaubt ist.

Der Karneval ist ein fremdes Organ

Nichts davon in Berlin. Hier ist der Karneval ein fremdes Organ: Man möchte ihn um jeden Preis einem Körper transplantieren, der alle Abwehrkräfte mobilisiert. Der Fasching passt einfach nicht zu dieser Stadt. Die Jecken wirken künstlich, die Kamellen fallen in Pfützen, die Schaulustigen kommen in Zivil, die ganz Mutigen pflanzen sich eine rote Nase oder eine riesige Sonnenbrille ins Gesicht. Ein paar Stunden nach der Parade bleibt nichts als ein Konfettibrei auf dem Fußweg. Und wenn die Bäcker in diesen Tagen nicht säuberlich aufgereihte Pfannkuchen mit Zuckerguss anbieten würden, könnte man annehmen, der Februar sei ein Monat wie jeder andere.

Der Karneval in Berlin macht mich traurig. Als ich am Dienstag eine kleine kölsche Büroangestellte sah, wie sie, eine Feder an die Mütze geheftet, die Berliner Straße überquerte, da wäre ich beinahe in Tränen ausgebrochen. Nein, der Berliner verspürt nicht das Bedürfnis, einmal im Jahr in eine andere Haut zu schlüpfen. In unserer Stadt kommt der Karneval mir vor wie eine misslungene Party. Die Gastgeberin tut alles, um die Stimmung zu retten, um die Gäste ins Gespräch zu bringen. Sie heuchelt spontane Fröhlichkeit, spielt die Gutgelaunte, während ihr Herz sich zusammenzieht wie ein Schwamm. Der Karneval ist ein bisschen wie die Galette des Rois. Man kann ihn nicht verpflanzen. In Berlin schmeckt sie anders. Sie ist nur eine dürftige Kopie. Eine Fälschung! Betrug!

Eine radikale Lösung muss her

Und aus diesem Grund fliehen die echten Rheinländer am Donnerstagabend in Richtung Köln, Mainz oder Düsseldorf. Sie brauchen einfach ihr Helau und Alaaf. Ich kenne eine ehrbare Familienmutter, die jedes Jahr in den ICE steigt, mit einem kurzen Kleid aus den 20er Jahren und Stöckelschuhen, um an Weiberfastnacht in einer Kölner Kneipe bis zum Morgengrauen zu tanzen. Wenn sie erschöpft und selig nach Berlin zurückkehrt, kräuselt ein anzügliches Lächeln ihre Lippen. Noch nie wagte ich, sie zu fragen, was sich in Köln abspielt, aber ich ahne, dass ihre Ration an Verbotenem sie durch das ganze Jahr trägt.

Und aus genau diesem Grund plädiere ich für das Verbot des Karnevals in Berlin, und zwar für eine radikale Lösung: Die Deutsche Bahn müsste sich großzügig zeigen und die Berliner mit kostenlosen Sonderzügen an die Ufer des Rheins bringen. Ein großer alljährlicher Almauftrieb, der, da bin ich mir ganz sicher, auch die Griesgrämigsten für den Rest des Jahres fröhlich stimmen würde. Und wo wir schon dabei sind … die Deutsche Bahn könnte auch an mich denken! In Paris würde die Galette des Rois ganz anders schmecken als in Schöneberg!

Aus dem Französischen von Elisabeth Thielicke. Pascale Hugues liest morgen, am 1. März um 11 Uhr im Kino „Die Kurbel“ aus ihrem Buch „Marthe und Mathilde“ über ihre beiden Großmütter. Kartenvorkauf: Buchladen Bayerischer Platz, Tel. 782 12 45.

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