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Mon BERLIN: Mit Herrn zu Guttenberg im Wohnwagen

Fragt man die Deutschen, mit wem sie ihren Urlaub am liebsten verbringen würden, antworten 36 Prozent voller Enthusiasmus: mit Karl Theodor zu Guttenberg. Wer sind diese Leute, die mit einem ihnen völlig Fremden in den Urlaub fahren möchten? Warum haben sie nicht einfach Lust, ihre Kinder mitzunehmen?

Als der französische Theatermann Sacha Guitry gefragt wurde, neben wem er im Paradies gern sitzen würde, gab er ohne zu zögern diese scharfsinnige Antwort: zwischen Greta Garbo, der damals schönsten Frau der Welt, zu seiner Rechten und Sigmund Freud zu seiner Linken, um das große Chaos zu besänftigen, das die Göttliche in seiner Seele und in seinen Sinnen zweifellos anrichten würde. Fragt man die Deutschen, mit wem sie ihren Urlaub am liebsten verbringen würden, antworten 36 Prozent voller Enthusiasmus: mit Karl Theodor zu Guttenberg.

Diese dem Sommerloch entsprungene Fantasie hat mir ehrlich gesagt die Sprache verschlagen. So sehr ich Sacha Guitrys verführerische Träume verstehe, so sehr verwundert mich der bescheidene Wunsch meiner AdoptivLandsleute. Hätten sie sich vorgestellt, wie sie bei Sonnenuntergang mit George Clooney in Surfershorts an einem tropischen Strand sitzen oder wie sie in den Alpen auf einen Berg steigen, in Gesellschaft von Woody Allen, der ihnen die ganze Zeit Geschichten erzählt – ich hätte ihre Gedanken sehr gut nachvollziehen können. Aber KT zu Guttenberg zwei Wochen lang von morgens bis abends im Wohnwagen auf dem Campingplatz am Starnberger See, da ja preisgünstige Ferien in diesen Krisenzeiten in Deutschland sehr beliebt sind … nein, das übersteigt meine Vorstellungskraft bei Weitem. Die Meinungsforscher hätten tiefer schürfen und alle diese Leute nach den wahren Gründen für ihre Wahl fragen müssen.

Welche Qualitäten müsste der ideale Sommerbegleiter denn haben? Charme, Leichtigkeit, viel Humor, einen unendlichen Vorrat an Geschichten. Aber die Wirtschaftskrise mit Anstand und Disziplin – diesen von dem jungen Minister so hoch geschätzten Tugenden – analysieren, die Zweige des alten Familienstammbaums auseinanderfieseln oder sich gemeinsam in Platon im Original stürzen … Die Ferien mit dem Herrn zu Guttenberg wirken auf den ersten Blick nicht gerade aufregend. Und wer sind eigentlich die 36 Prozent der Deutschen, die mit einem ihnen völlig Fremden in den Urlaub fahren möchten? Warum haben sie nicht einfach Lust, ihre Kinder mitzunehmen? Oder mit ihren besten Freunden zu verreisen? Oder, noch besser, diese Zeit zu nutzen, um das Alleinsein zu genießen und keinen Smalltalk machen zu müssen? Eine weitere Frage, die mich beschäftigt: Hätte denn der arme KT zu Guttenberg überhaupt Lust, seinen Urlaub mit den 36 Prozent potenziellen Wählern zu verbringen, die nur von ihm träumen?

Und dann – was für komische Ideen haben die Meinungsforschungsinstitute, wenn sie uns mit unmöglichen Entscheidungen quälen, die man in der Sekunde treffen muss, in der sie einem vorgelegt werden. Gerade heute früh haben die Kinder beim Frühstück einen Fragebogen in ihrer Zeitschrift ausgefüllt: „Bist Du die Ruhe selbst? Möchtest Du berühmt werden? Bist Du eine treue Freundin? Du musst mit ,stimmt‘ oder ,stimmt nicht‘ antworten! Jetzt sofort!“ Seit zehn Jahren trage ich die Entscheidung mit mir herum, welches Buch ich auf eine einsame Insel mitnehmen würde. Ich weiß immer noch nicht, was mein Lieblingsgericht ist, meine bevorzugte Farbe, mein liebstes Chanson. Meer oder Berge? Rock oder Hose? Hund oder Katze? Tee oder Kaffee? All diese unnützen Fragen, die einem das Hirn zermartern, einen zerreißen, eine Entscheidung fordern, einem das Leben vermiesen. Catherine oder Isabelle? „Mein Herz schwankt hin und her, weiß nicht, welche ich liebe mehr …“, sagt ein alter Abzählreim, den wir in der Pause auf dem Schulhof sangen. Schon damals musste man aus den Mädchen in der Klasse die beste Freundin wählen. Für die Abgelehnte trällerte dann die ganze Klasse: „Ah, wenn du glaubst, ich liebe dich – mein kleines Herz ist nicht für dich!“ Zu genau diesem grausamen kleinen Spiel zwingt man uns heute. KT, Franz, Frank-Walter, Angela und Ursula stellen sich im Kreis auf. Der deutsche Wähler steht in der Mitte. Wem gibt er den Vorzug? Wer bekommt die Dresche?

Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

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