zum Hauptinhalt

Mon BERLIN: „Wie heißt Ihr Kind?“ – „Isolde wie Tristan“

Ein Vorname ist ein bisschen wie eine Tätowierung: Ist die Entscheidung einmal gefallen, so gilt er für das ganze Leben. Umtauschen kann man ihn nicht.

Ein Vorname ist ein bisschen wie eine Tätowierung: Ist die Entscheidung einmal gefallen, so gilt er für das ganze Leben. Umtauschen kann man ihn nicht. Wegkratzen geht auch nicht. Ein Vorname klebt auf der Haut. Und sogar wenn man es schafft, ihn durch höchst komplizierte Verfahren aus dem Standesamtsregister zu entfernen, bleibt er doch bis in alle Ewigkeit im Familiengedächtnis eingraviert.

Deshalb ruft die Entscheidung für einen Rufnamen automatisch fieberhafte Verhandlungen hervor, manchmal Dramen und auf jeden Fall endlose Überlegungen. Der Vorname, der dem einen gefällt, löst beim anderen Entsetzensschreie aus. Der französische Couturier des Weißen und des Minirocks, André Courrèges, benannte seine Tochter nach seinem Lieblingsdessert: Clafoutis. Ein Clafoutis ist ein Kirschkuchen. Clafoutis ist wie Bienenstich. Man möchte am liebsten hineinbeißen. Ich hätte allerdings Skrupel, meinen Sohn Käsekuchen oder Sorbet und meine Tochter Panna cotta zu nennen. Obwohl diese Nachspeisen unwiderstehlich sind.

Für die binationalen Kinder spielt die Aussprache eine zentrale Rolle. Aus einem pfiffigen Jules, der auf Französisch leicht über die Zunge geht, wird auf Deutsch ein wenig schmeichelhafter Youleûss. Der französische Jungenname Nicolas ändert im Deutschen sein Geschlecht und wird Nicola. Aus dem virilen deutschen Martin wird im Französischen eine kastrierte Martine. Der wunderschöne Mädchenname Delphine, den ich mit geschlossenen Augen gewählt hätte, hätte ich eine Tochter gehabt, verwandelt sich im Deutschen in ein grau schimmerndes Meerestier. Fritz ist für Russen und Franzosen einfach unmöglich, denn dabei denkt man sofort an einen brüllenden Spieß der Wehrmacht. Ein Fritz ist ein Nazi. Und Adolf – der ist vermutlich auf der ganzen Welt für immer ausgeschlossen.

Die alte Nachbarin meiner Eltern, eine Elsässerin, die kaum Französisch sprach, war beauftragt worden, ihren Enkel beim Standesamt Straßburg anzumelden. Der Kleine sollte Patrice heißen. Patrice, Patrice, Patrice, sagte Madame Hans wie ein Mantra vor sich hin, als sie durch die Stadt zum Rathaus ging. „Patrice? Warum nicht Jean oder Robert wie alle anderen?“, empörte sie sich, während sie verzweifelt versuchte, den damals so exotischen Namen im Kopf zu behalten.

Es kam, wie es kommen musste, als sie schließlich vor dem Standesbeamten stand, hatte Madame Hans die Konsonanten verwechselt, die Laute durcheinandergebracht. „Ah, Sie meinen Fabrice“, rief der Beamte und freute sich, dass er dieser kleinen alten Frau behilflich sein konnte, die sich mit beiden Händen am Schalter festklammerte und vor Panik nur noch stammelte. Erleichtert stimmte Madame Hans zu. Und so fand sich dieser kleine Junge mit einem edlen großen Namen herausgeputzt wie Fabrice del Dongo, der Held von Stendhals „Die Kartause von Parma“. Ein Taufname wie im Roman.

Im vorigen Sommer an einem beliebten Nordseestrand ruft ein Vater seine Tochter: „Isolde, kommst du bitte?“ „Wie heißt sie?“, fragt ein anderer, weniger gebildeter Vater. „Isolde wie Tristan“, antwortet der erste, als wäre diese Assoziation selbstverständlich. Der zweite, dem die keltischen Legenden und die wagnerschen Libretti nicht so geläufig sind, sperrt die Augen auf. Penelope wie Odysseus, Daphne wie Chloé, Philemon wie Baucis. Es gibt tausend Arten, wie man seine Strandkorbnachbarn mit seiner über den feinen Sand gestreuten humanistischen Bildung beeindrucken kann. Clafoutis wie Kirsche … Ja, ich glaube, mir ist Clafoutis noch lieber als Isolde. Weniger prätentiös und vor allem viel appetitanregender.

Im selben Sommer auf einer französischen Alpenwiese, ein kleines Mädchen mit Rotznase hört auf den Namen Océane. Océane ist gerade sehr modern. Ein ganzes Programm. Ich habe sogar Cosmos als Jungennamen gehört. Und wird nicht in diesem Frühling Vulkan in den Wöchnerinnenstationen ausbrechen? Profaner sind die im heutigen Europa so beliebten Autonamen. Mégane ist in Frankreich ein Klassiker. Und schon starten die kleinen Mädchen volle Fahrt voraus. Und warum nicht Golf oder Porsche für einen kleinen Deutschen?

Manchmal sehne ich mich nach meiner guten alten Kinderzeit zurück, als es in den Klassenräumen von Martines, Catherines und Isabelles nur so wimmelte. Es stimmt schon, dass unsere Eltern sich nicht den Kopf zerbrachen, um originell zu sein. Aber sie bewahrten uns auch vor der Lächerlichkeit.

Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false