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Meinung: Mord als Botschaft – an die Brüder

Die neuen Anschläge und Vergeltungsmaßnahmen in Israel dienen der Binnenpolitik

Rache ist das Motiv für die Ermordung von zwölf Israelis in Hebron. Das behauptet zumindest Ramadan Abdullah al-Schallah, der Führer des Islamischen Dschihad. Man habe den Tod eines hochrangigen militärischen Anführers vergelten wollen, den die Israelis vor mehr als einer Woche erschossen hatten.

Das alttestamentarische „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ ist ein beliebtes Klischee, wenn es darum geht, den Irrsinn in Nahost zu erklären. Dieses Mal hat der Wahnsinn aber Methode – und al-Schallah lügt: Rache ist höchstens ein Nebenmotiv des Angriffs vom Freitagabend, der seit längerem geplant war. Es geht nicht um Gefühl, sondern um Kalkül: um Macht. Darum, wer in der palästinensischen Gesellschaft in Zukunft das Sagen hat.

Der Anschlag ist ein Signal an die wichtigsten politischen Lager in der palästinensischen Gesellschaft, an Jassir Arafats Fatah-Bewegung und die vor allem in Gaza starke Hamas. Vertreter beider Gruppen haben sich letzte Woche in Kairo getroffen, um über einen Waffenstillstand gegenüber Israel zu beraten – nur ein Beleg dafür, dass die Machtgleichgewichte in der palästinensischen Gesellschaft neu austariert werden. Die Fatah musste aufgrund schwindender Akzeptanz in der Bevölkerung erkennen, dass ein Arrangement mit Hamas unausweichlich ist. Und nun macht sich auch der Islamische Dschihad bemerkbar und signalisiert: Ohne uns geht gar nichts. Schon gar kein Waffenstillstand mit Israel. Nebenbei bringt sich so auch Syrien wieder ins palästinensische Kräftemessen ein, schließlich ist Damaskus der Hauptsponsor des Islamischen Dschihad.

Aber nicht nur Arafat, auch Ariel Scharon gerät durch den Anschlag in Schwierigkeiten. Er will sich bei den Wahlen Ende Januar als moderat präsentieren, zudem steht er unter verschärfter Beobachtung der US-Regierung, die keine Störung ihrer Irakpolitik wünscht. Deswegen muss Scharon die vielen Extremisten in seiner Regierung zügeln, die weiträumige Vergeltungsmaßnahmen fordern. Auch die israelische Armee hat ein Problem: Ihr wurde, wie schon im Flüchtlingslager in Dschenin, als 13 ihrer Soldaten starben, eine perfekte Falle gestellt. Das Abschreckungspotenzial, der Ruf höchster Professionalität leidet abermals, wenn drei Palästinenser der Armee ein viereinhalbstündiges Feuergefecht liefern können, bei dem zwölf Israelis sterben – und das an einem der bestbewachten Orte der besetzten Gebiete. Diese militärische Schlappe wettzumachen kann Scharon sich angesichts der weltpolitischen Lage nicht leisten. Und so ist der Anschlag Wasser auf die Mühlen seines parteiinternen Rivalen Benjamin Netanjahu, dessen Berater schon angekündigt haben, die Sicherheitslage verschärft zu thematisieren.

Der Anschlag zeigt also erneut, wie die palästinensischen Extremisten Einfluss nehmen auf die politische Agenda – auf beiden Seiten. Den Preis zahlt die Bevölkerung: Erst vor drei Wochen hatte sich die israelische Armee aus den palästinensischen Stadtteilen Hebrons zurückgezogen. Die noch vom damaligen Verteidigungsminister Benjamin Ben-Elieser durchgesetzte Befriedungsstrategie unter dem Namen „Betlehem und Hebron zuerst“ darf nun als gescheitert gelten.

Den Palästinensern hatte man in Aussicht gestellt, dass die Armee sich auch aus anderen Städten zurückzieht, wenn es in Betlehem und Hebron ruhig bliebe – vorbei. Wann wird sich der nächste israelische Politiker finden, der sich dem Risiko aussetzen möchte, von Terroristen widerlegt zu werden? Es wird davon abhängen, ob die Strategie des Dschihad Erfolg hat. Ob die Palästinenser es zulassen, dass aus dem Störpotenzial der Extremisten auch politische Macht erwächst.

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