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Meinung: Müde auf dem Balkan

Der Bundeswehreinsatz wurde verlängert – aber wo sind die Perspektiven für den Kosovo?

Von Robert Birnbaum

Deutsche Städte können wunderliche Namen tragen. „Prizren“ zum Beispiel. Prizren lag früher einmal in Jugoslawien, dann in Rest-Jugoslawien, die Gegend hieß damals schon Kosovo; heute stehen die 120 000 Einwohner der Stadt unter internationalem Protektorat. In den Straßen patrouillieren deutsche Soldaten. Der Bundestag hat gerade ihr Mandat um ein weiteres Jahr verlängert, aber wenn kein Wunder geschieht, werden sie da noch sehr viel länger patrouillieren. Ihre Kameraden in Sarajewo, ein paar Autostunden entfernt, begehen demnächst das zehnjährige Jubiläum.

Unser aller Augen, vertreten durch die Kameraobjektive der Fernsehanstalten, sind auf Afghanistan gerichtet, auf Bagdad, demnächst vielleicht auf Sudan. Dass hier, mitten in Europa, ein Großkonflikt ungelöst vor sich hin dämmert, fällt uns nur manchmal und nur kurz auf wie neulich im März, als im Kosovo Tausende randalierten und Kirchen und Häuser in Flammen aufgingen. Der Windschatten der Weltgeschichte, in dem das alles geschieht, hat sogar schon einen eigenen Namen bekommen: von „Balkanmüdigkeit“ reden Diplomaten und Militärs.

Das wäre nicht weiter schlimm, gäbe es berechtigte Hoffnung, dass sich die balkanischen Konflikte in absehbarer Zeit lösen. Sie machen aber keinerlei Anstalten, im Gegenteil. Im deutschen Feldlager in Prizren leben derzeit 30 Serben, die in den März-Krawallen von Albanern aus ihren niedergebrannten Häusern verjagt wurden. Die meisten wollen nach Serbien auswandern, was die Bundeswehr ihnen aber nicht ermöglichen darf, weil sie dann die ethnischen Säuberungen perfekt machen würde. Der Kosovo-Verwalter, der Finne Holkeri, ist gerade zurückgetreten – „aus Gesundheitsgründen“, nämlich wegen Überforderung. Man kann es dem Mann nachfühlen.

Trotzdem ist es richtig, dass die Bundeswehr auf Posten bleibt und dass der Bundestag den Einsatz regelmäßig verlängert. Übrigens ist es auch richtig, wenn der Verteidigungsminister Peter Struck seine Leute jetzt mit Tränengas ausrüsten will. Bei den jüngsten Krawallen haben die Soldaten, vor die Wahl gestellt, in eine Menschenmenge zu schießen oder den Rückzug anzutreten, richtigerweise nicht geschossen. Aber wenn Soldaten quasi Polizeiaufgaben erfüllen, müssen sie auch Polizeigerät dafür haben und nicht nur Kriegsmaschinerie.

Aber auch das hilft nur, den Konflikt weiter unter Kontrolle zu halten, nicht ihn zu lösen. Lösungen verlangen von den Beteiligten viel Geduld. Aber sie verlangen vom Rest der Welt auch ein Mindestmaß an öffentlich-offensichtlicher Anteilnahme. Die Friedenspläne der internationalen Gemeinschaft abzuarbeiten reicht ersichtlich nicht. Der Balkan, dieser zerrissene, vergessene Kleinkontinent vor unserer Tür, braucht Perspektive. Unsere Balkanmüdigkeit ist kein banales Leiden, sondern eine gefährliche Krankheit. Sie steckt an, und sie schläfert ein. Der Schlummer mag ja ganz angenehm sein. Nur das Erwachen, das kann eins mit Schrecken werden.

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