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Meinung: Müssen wir erst wieder in die Erdlöcher?

Wir betrachten die Dinge mit jungen und alten Augen

Liebe Kerstin Kohlenberg,

jetzt, da Deutschland in Jammern und Klagen versinkt, da man die vielen Pleiten und Konkurse, die wachsenden Arbeitslosenzahlen in einer Großstadt wie Berlin, geradezu wie mit Händen greifen kann, wird immer wieder an unseren Aufbauwillen nach ’45 appelliert. Wie haben wir das damals geschafft? Letzten Freitag ging in der „FAZ“ der Abdruck des „Deutschlandberichts“ von Carl Zuckmayer, des wahrhaft großen Volksschriftstellers, zu Ende, in dem er in schöner, auch durchaus anteilnehmender Offenheit nach genauen Beobachtungen beschreibt, wie sehr wir am Boden waren – sein mussten – um wieder von vorne anfangen zu können. Wie soll aber ein solcher Geist in einem Staat und einer Nation reaktiviert werden, die ja nicht aus Erdlöchern, Hunger, Kriegsgefangenschaft, Ruinen kriecht, um neu anzufangen, sondern, immer noch, zu den reichsten Industrienationen gehört? Ich meine das, verstehen Sie mich nicht falsch, keineswegs als Rezept.

Lieber Hellmuth Karasek, warum sagen Sie es dann? Kann ich Sie irgendwie aus Ihrer Altersdepression holen? Da ich kein Kriegsspielzeug bei mir habe, versuche ich es mal mit Ihrem alten Freund Woody. Knöpfen Sie sich also den Kittel zu, Ihr Patient Herr Germany liegt schon auf der Couch. „Doktor Kari, ich kann nicht mehr zur Arbeit gehen, ich habe Angst, meinen Schlüssel zu vergessen und nicht wieder in die Wohnung zu kommen. Dann fange ich bestimmt an zu schreien, trete das Geländer ein, verliere meine Wohnung. Da bringe ich mich lieber gleich um.“ Sie kennen Herrn Germany seit Jahren, haben ihm oft die Hand auf die Eifel gelegt und Verständnis gezeigt, denn Sie kennen die Familie. Aber diesmal sagen Sie: „Mensch Germany, dann bring dich doch um!“ „Paradoxe Intervention“ heißt das. Das Verschreiben von dem, wovor man Angst hat. Woody Allen würde daraufhin so lange versuchen, sich halbherzig umzubringen, bis er nebenbei das Glück findet. Herr Germany aber würde warscheinlich sagen: „Zu Befehl!“. Ihre Kerstin Kohlenberg

Ihr Hellmuth Karasek

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