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My BERLIN: An der Siegessäule hatte alles begonnen

Was wäre, wenn sich der Besuch des designierten US-Präsidentschaftsbewerber Barack Obama nachhaltig auf die Karriere von Klaus Wowereit ausgewirkt hätte - und er plötzlich Bundeskanzler wäre? Roger Boyes wirft einen Blick in eine fiktive Zukunft.

Da standen sie wieder in der Schlange, die Touristen, unten vor dem Reichstag – unwissend, dass der schnellste Weg hoch auf die Kuppel darin bestand, einen Tisch im Restaurant Käfer zu bestellen. Aus den hohen Fenstern des Kanzleramts sahen sie aus wie Termiten, die Zuckerstückchen zum Ameisen-Hauptquartier bringen. Bundeskanzler Klaus Wowereit stieß einen tiefen Seufzer heraus. So richtig hatte er den Sinn des Parlaments nie verstanden. Debattieren? Was für ein Zeichen der Schwäche.

Mindestens das hatte er mit Oskar gemein, der auf der anderen Seite des leeren Schreibtisches saß, mit übergeschlagenen Beinen und Fingern, die unruhig auf den Tisch trommelten. Der Kanzler war froh, dass zwischen ihm und seinem Außenminister der Schreibtisch stand. Schröder hatte bei solchen Anlässen den Konferenztisch hinten in der Ecke benutzt; Wowi hielt das neue Arrangement eher seiner Autorität angemessen – der Aura des Königs. In Gedanken machte er eine Notiz an Regierungssprecher Meng: „Aura des Königs“.

„Wir müssen was tun“, sagte der Kanzler zu Lafontaine. Mein Gott, was sah der wieder selbstgefällig aus. „Die letzte Forsa- Umfrage war grauenhaft.“

„Sicher“, sagte Oskar, als ob er sagen wollte: Ich bin dir um drei Schritte voraus. „Ich habe gerade Pläne für eine neue EU-Steuer auf Geschäftskontakte ausgearbeitet. Warum sollten sich Unternehmer auf Kosten der Armen fettfressen? Unsere Forderung: kostenloses Mittagessen für alle!“ Es sprudelte nur so aus ihm heraus. „Flassbeck kümmert sich um die Details.“

„Im Margaux, oder was?“, fragte der Kanzler in Anspielung auf das Restaurant, das für ein Kalbskotelett 45 Euro berechnete.

Mühsam erhob er sich – Hämorrhoiden können schmerzhaft sein – und begab sich zum Globus. Auf Angela Merkels Weltkugel hatte Afrika so schmal ausgesehen; Wowi hatte das geändert. Nur einer dieser symbolischen Schritte, auf die er so stolz war. Stürmische Jahre lagen hinter ihm. Die Wahlkampfbiografie, besorgt durch Hajo Schumacher. Becks Kapitulation bei der Kanzlerkandidatur. Steinmeiers Chance. Das desaströse Wahlergebnis. Die CDU geschwächt, die SPD mit einer Stimmenzahl, die man kaum mit dem Mikroskop messen konnte. Der Rücktritt Becks, die Neuauflage der großen Koalition. Die eigene Partei, die irgendwann endlich begriff, dass es eine linke Mehrheit im Bundestag gab. „Wir dürfen nicht warten, bis Oskar es tut! Wir müssen die Linke vereinigen“, hatte Wowi den Genossen zugerufen. „Nehmen wir ihn in die Pflicht, zähmen wir ihn – er wird ein bisschen Theater machen, das kennen wir von ihm, doch er wird ein stabiler, zahmer Partner sein.“ Es hatte Applaus gegeben, sogar von der blöden Nahles. Und dann kam er, der Slogan, mit dem Wowereit sich endgültig an die Macht katapultiert hatte: „Yes, we can.“

Der Obama-Spruch hing vorwitzig und in großen Buchstaben auf einem Fanschal über der Willy- Brandt-Büste im Büro. Rückblickend war es jene schicksalhafte Woche vor drei Jahren gewesen, im Juli 2008, die das Blatt gewendet hatte: Sein Treffen mit Barack – „Barry“ – die gemeinsamen Fotos, der Auftritt an der Siegessäule, Wowis Lieblingsmonument. Alles war zusammengekommen: Der wind of change. Barry und Wowi, die neue Achse für soziale Gerechtigkeit in der Welt.

„Ich dachte eher an etwas – Wowi suchte nach einem typischen Obama-Wort – „Grundsätzlicheres“. Oskar runzelte die Stirn. Was für ein brillanter Schachzug, ihn zum Außenminister gemacht zu haben! Hier konnte Lafontaine all seine bonapartischen Allmachtsfantasien ausleben – er dagegen, Wowi, behielt die Fäden in der Hand. Aus der Innenpolitik konnte er ihn fernhalten – und damit viel Ärger.

„Ich telefoniere mit Barry“, sagte Wowi, ohne zu erwähnen, dass er seit sechs Stunden auf dessen Rückruf wartete. „Wir überlegen uns was.“ „Ich nenn ihn lieber Obi“, versuchte es Oskar mit einem Witz. Wowi ignorierte ihn.

„Etwas – Globales. Ökologisches. Windräder für die Armen, so was! Wo kommt noch mal sein Vater her?“ – „Kenia.“ – „Ah ja. Pass auf! Wir stecken all unsere Entwicklungshilfe in … Solaranlagen in Kenia, made in Germany! Wir machen den Schwarzen Kontinent grün! Was ist Deutschlands Ziel in der Außenpolitik? Geliebt zu werden, oder? Was ist Obamas Hauptziel? Geliebt zu werden!“ – „Das passt“, sagte der Außenminister und blickte auf die Uhr. Zeit für die Mittagspause. Wowi, gerissen wie immer, holte aus: „Brillante Idee, Oskar!“

Das rote Telefon klingelte. „Der Präsident“, sagte jemand aus dem Vorzimmer. „Barry!“, jubelte der Kanzler verzückt.

„Hier ist Thilo“, scholl es schroff aus der Leitung, „Thilo Sarrazin, Präsident der Bundesrepublik Deutschland. Schon vergessen?“ Wowereit wurde traurig. Bis jetzt war es ein so schöner Tag gewesen.

--- Fortsetzung folgt ---

Aus dem Englischen übersetzt von Sebastian Bickerich.

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