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My Berlin: Apokalypse im Stadtbad

Wir müssen uns auf eine durch und durch nasse Existenz einstellen, befürchtet. Roger Boyes, The Times

Jeder hat seinen eigenen Weg, mit der Jahresanfangsdepression umzugehen. Der eine schmilzt runtergesetzte Weihnachtsmänner ein und gießt die heiße, süße Soße über eine Banane. Der andere geht in die Muckibude. Meine Methode: Ich gehe in die postapokalyptischen Filme, die zu dieser Jahreszeit ins Kino kommen, weil sie als zu düster für Advent oder Sommer gelten. Ein Lächeln legt sich über mein Gesicht, und neue Energie erfüllt meinen Körper, wenn ich in einen roten Sessel am Potsdamer Platz versinke und zuschaue, wie eine Gesellschaft auseinanderfällt, zerstört von einer Atombombe oder irgendeinem furchtbaren Virus. Die Filme können noch so schlecht sein, ich fühle mich trotzdem immer wie der glückliche Überlebende: Gigantische Ratten oder Affen, die durch verlassene Straßen strolchen, Menschen, die an einem offenen Feuer Katzen braten, Mutanten und Zombies hinter jeder Ecke: Das ist für mich das Rezept des Glücks. Die hässlicheren Mitglieder meiner Redaktion erscheinen nach einer oder zwei Stunden Armageddon plötzlich gar nicht mehr so furchtbar.

Und so war ich natürlich schon in „I am legend“ mit Will Smith. Ein Virus tötet Milliarden Menschen, und Will Smith fragt sich, ob er der letzte Mensch auf der Welt ist. Tatsächlich interessiert uns das nicht, aber die Bilder eines verlassenen New Yorks, überwachsen und übernommen von wilden Tieren, haben einen gewissen Charme. Manhattan wirkt plötzlich wie der Alexanderplatz an einem nassen Sonntagnachmittag.

Normalerweise – Danny Boyles „28 Days later“ (ausgestorbenes London) ist ein Klassiker wie auch der postnukleare Film aus den 1980ern „Der Tag danach“ – haben solche Filme die Einsamkeit zum Thema und die Schuldgefühle derjenigen, die weiterleben, während alle anderen tot sind.

Was diese Filme rettet, ist nicht ihre makabre Faszination, sondern die Tatsache, dass sie eine Selbstbetrachtung auslösen. Wie gut wäre ich als Robinson Crusoe? Mit anderen Worten: Wie gut bin ich als Mensch? Kann ich Feuer ohne Streichhölzer machen? Nein. Kann ich ein Katapult bauen? Ja. Kann ich damit eine Katze erlegen? Ja. Kann ich die Katze häuten und verspeisen? Nicht wirklich. Auf meiner Militärschule während des Kalten Krieges habe ich einiges Nützliches gelernt: morsen oder einen behelfsmäßigen Atombunker bauen. Was ich aber nicht gut kann, ist schwimmen. Ich spritze herum, mache viel Lärm, komme aber nicht von der Stelle. Möglicherweise eine Metapher für meine journalistische Karriere.

Ein Freund hat mich darauf hingewiesen, dass nur gute Schwimmer die Apokalypse des Klimawandels überleben werden. Früher oder später schmelzen die Pole, und die Flut beginnt. Der Tsunami war lediglich ein Vorbote, die Zukunft heißt: Berlin am Meer. Alles Leben, sagte mein Freund Daniel – bei einem Abendessen in Charlottenburg, bei dem tote Krabben und tote Tintenfische auf der Karte standen –, kam aus dem Meer. Die Seetiere krabbelten aufs Land, entwickelten Lungen und waren keine Fische mehr. Einige kehrten ins Meer zurück, Wale und Delfine, doch die meisten blieben an Land. Dieses Evolutionsprinzip wird gerade umgedreht: Wir Menschen müssen uns auf eine durch und durch nasse Existenz einstellen.

Daniel ist nervös, aber auch rational: Er nimmt Schwimmunterricht. Und so machte auch ich mich auf die Suche nach Schwimmlehrern. In meinem Hinterkopf war ein vollkommen missratener postapokalyptischer Film: Kevin Costners „Waterworld“. Ich sah ihn in den 1990ern, und eigentlich kann man ihn heute als prophetisch bezeichnen: Das Eis war geschmolzen, die Welt unter Wasser, die Gesellschaft (die Land braucht) zerfallen in die Anarchie der Piraterie. Wenn ich mich richtig erinnere, nimmt Costner eine schöne Frau und ihr Kind zu dem einzigen trockenen Ort, der Spitze des Mount Everest. Meine Idee: Wenn ich drei Bahnen schwimmen kann, ohne wie ein Raucher nach Luft zu schnappen oder einen Liter Chlor zu verschlucken oder gegen eine Seniorenwassergymnastikgruppe zu stoßen, dann könnte ich wie Kevin Costner werden, ein Wasserheld.

Aber ich hatte die Rechnung ohne Berlin gemacht. Ich schwimme gerne in einer ästhetisch ansprechenden Umgebung. Alles andere würde mich an meine Militärzeit erinnern. Also zur Alten Halle in der Krummen Straße, Jugendstil mit einem exquisiten Glasdach – ein architektonisches Juwel –, das Becken ist jedoch bis September 2008 geschlossen. September! Weiß der Senat nicht, dass die Polkappen schmelzen? Das Ersatzbecken war trostlos, und als ich um 14 Uhr 30 ankam, fest verschlossen. Das Stadtbad Wilmersdorf am Heidelberger Platz? Bis April geschlossen. Das traditionelle Baerwaldbad in Kreuzberg, 1901 voller Optimismus errichtet? So gut wie tot.

Langsam wurde mir klar: Der Senat will gar nicht, dass die Berliner die Apokalypse überleben! Warum würde er sonst all die Stadtbäder schließen, während zukunftsnahe Städte wie München ihr Schwimmangebot erweitern? Strom ist teuer, ja, Wasser auch, dazu das 186 000-Euro-Gehalt von Bäderchef Klaus Lipinsky. Aber hat niemand im Roten Rathaus „Waterworld“ gesehen? Schwimmen sollte Teil der Stadtkultur werden. Anfang des 20. Jahrhunderts hatten sie das erkannt, aber im 21. ist dieses Wissen abhandengekommen. Im 22. Jahrhundert werden wir vielleicht schon in den großen Fluten ertrunken sein.

Bis der Senat das erkennt, werde ich in meiner Badewanne üben. Ich bin kein Mensch, der gerne Risiken eingeht.

Aus dem Englischen übersetzt von Moritz Schuller.

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