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My BERLIN: Da hat man nichts zu lachen

Deutschland leidet unter einer Humor- Krise. Auch das noch

Ich bin zu jung für das Vormittagsprogramm der ARD („Rote Rosen“, Folge 763), zu heterosexuell für „Desperate Housewives“, zu alt für die „Simpsons“, zu gelangweilt von „SOKO Wismar“ (es braucht mehr als einen Krimi, um mein Interesse an Wismar zu wecken). Aber Günther Jauchs Millionär-Show – dafür kann ich mich begeistern, allein schon wegen des Traumes, einmal selbst ein Joker zu sein. Ich sitze, so stelle ich mir das vor, mit einer fiesen Grimasse à la Jack Nicholson in „Batman“ in einem Internetcafé, umgeben von jungen Assistenten, deren Hände über der Google-Seite schweben, alle bereit, um die perfekte Antwort zu generieren, die Jauchs Produktionsfirma um eine Million Euro ärmer macht. Ich schaue die Sendung also – sozial ist montags in meinem Leben eh nicht viel los –, um für den Tag vorbereitet zu sein, an dem mich jemand mal als Joker braucht.

In dieser Woche geschah jedoch etwas Merkwürdiges: Jauch macht einen riskanten Witz. Nicht sein normaler Schülerzeitungshumor, der das Studiopublikum zum Gackern bringt – er war besonders erfolgreich vor einigen Wochen mit einer Bemerkung über das Aufwischen von Katzenkotze in Wohngemeinschaften. Ihm saß ein wacher, behaarter Ossi gegenüber. Es lief gut für ihn und, hätte er mich als Joker gehabt, wären wir auf mindestens 125 000 Euro gekommen, mit denen wir nach der Show halbe-halbe gemacht hätten. Beim unvermeidbaren Geplänkel fragte Jauch den Thüringer, wofür er seinen Gewinn ausgeben würde. Für einen neuen Fallschirm, war die Antwort. Der Kandidat springt gern aus Flugzeugen, und ein guter Fallschirm kostet offenbar rund 5000 Euro.

Dann kam der Jauch-Witz: „Aber kein Möllemann-Modell?“

Das ist jedenfalls, was ich vernommen zu haben meine. Im Studio kräuselte sich ein unwohles Lachen. Sogar Jauch sah aus, als bisse er auf seine Unterlippe, besorgt, dass er zu weit gegangen sein könnte. War er, finde ich. Es war nicht lustig; es war beleidigend. Für Jürgen Möllemanns Familie, klar, aber auch für jeden, der schon mal ein Familienmitglied durch einen gewaltsamen Unfall verloren hat.

Grundsätzlich bin ich dafür, Tabus zu brechen und die Grenzen des Humors auszudehnen – vielleicht, weil ich Engländer bin und wir bekanntermaßen ein undefiniertes Verhältnis zum guten Geschmack haben. Ich habe sogar über Harald Schmidt als Hitler gelacht – er hat sich schließlich nicht über Holocaust-Opfer lustig gemacht, sondern über den Film „Der Untergang“ und unsere Faszination für den „Führer“. Aber Schmidt läuft spät, Jauch ist Familienfernsehen. Vor allem hat sein Witz nicht funktioniert: Viele im Publikum wussten gar nicht, wer Möllemann ist, was er wollte und wer ihn nicht mochte. Wenn man einen beleidigenden Witz macht, muss es dabei um etwas gehen.

Tatsache ist: Mit dem deutschen Fernsehhumor ist es nicht weit her. Auch in den deutschen Fernsehanstalten haben zu wenige Leute zu viel Macht – und gehen zu wenig Risiko ein. Warum, zum Beispiel, können nur Türken Witze über Türken machen? Aus dem gleichen Grund, warum Filme, die Hitler auf die Schippe nehmen, von Juden gemacht werden. Es ist eine sichere Bank – und deshalb nicht besonders lustig. Ähnlich in Großbritannien: Kein weißer Komiker macht Witze über Schwarze; schwarze Komiker dagegen nehmen Weiße und Schwarze aufs Korn. Deutsche Comedians – Pocher zum Beispiel – schlachten Priester, die Kinder missbrauchen, für Witze aus. An Türken trauen sie sich nicht ran. Heißt das, es ist schlimmer, ein Türke zu sein als ein Pädophiler? Dass Rasse für Humor tabu ist?

Deutsche lachen gern, die Sprache drängt sich geradezu auf für Wortspiele, aber die Fernsehmanager bedienen das nicht. Es gibt einen großen Unterschied zwischen den Witzen, die man bei einer Abendeinladung hört, und dem, was einem das öffentliche oder auch private Fernsehen präsentiert. Die Stand-up-Komiker gleichen das auch nicht aus. Mario Barth macht im Olympiastadion noch schlechtere Mann-Frau- Witze als im Fernsehen. Dieter Nuhr schreibt Bücher, weil er ernst genommen werden will, und opfert so den Kern seines Humors: Präzision. Das Kabarett, wie die „Süddeutsche“ neulich schrieb, hat seine Säure verloren.

Es sieht nicht gut aus: Das ist die verborgene Botschaft von Günther Jauchs merkwürdigem Ausrutscher über einen toten, weithin vergessenen Politiker: Deutschland leidet unter einer Humor- Krise. Auch das noch.

Aus dem Englischen übersetzt von Moritz Schuller.

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