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My BERLIN: Die Bahn hört mit dem Küssen auf

Die Bahn hat meine Sprache entführt und ich will sie zurück. Andere Unternehmen haben das natürlich auch schon versucht – Telekom et al. –, aber unter der Bahn leide ich am meisten. Was wollen sie mir mit ihrem Englisch (oder „BSE“ – Bad Simple English) eigentlich sagen?

Die gute Nachricht in einer an guten Nachrichten armen Woche kam, woher auch sonst, von der Deutschen Bahn. Nicht nur will der DB-Chef Rüdiger Grube „Flyer“, „Hotlines“ und „Call a Bike“ abschaffen, auch das Küssen wird verschwinden. Genauer: die „Kiss and Ride“- Zone vor den Bahnhöfen. „Kissen und Riden“ hieß früher Kurzparken und ging so: Man bringt seinen Partner zum Bahnhof und hat gerade genug Zeit für einen Abschiedskuss, bevor jemand von hinten anfängt zu drängeln. Vermutlich war das ein Überbleibsel aus der Mehdorn-Ära, der Versuch von inkompetenten Markenberatern, ein banales Problem (Autos, die den Zugang zum Bahnhof blockieren) charmant zu lösen – eine Eigenschaft, für die Mehdorn ja zu recht berühmt ist. Englisch mag zwar nicht die Sprache der Liebe sein (die Ehre kommt Italienisch, Französisch und Bayerisch zu), gilt aber als weltoffenes Idiom. Vermutlich hielten Mehdorns Berater „Kiss and Ride“ für einen ihrer größten PR-Triumphe.

Das war es natürlich nicht. Es hat lediglich alle verärgert: die Muttersprachler, die Deutschen, die das Denglisch satthaben, die Muslime, die sich in der Öffentlichkeit lieber nicht küssen wollen, und vor allem die ernsthaften Küsser. Diesem Bahnisch liegt nämlich ein fundamentales kulturelles Missverständnis zugrunde: Anders als „Click and Buy“ oder „Wash and Go“ ist „Kiss and Ride“ nicht Ausdruck eines mechanischen, emotionslosen Ablaufs. Ein Kuss hat etwas mit Berührung zu tun, mit Geruch und mit Leidenschaft. Dem Parken eines Autos vor dem Bahnhof wohnt dagegen nichts Romantisches inne. Man würgt den Wagen ab, greift die Tasche, startet den Wagen. Kurzparken halt. Küsse brauchen Zeit. Wer wirklich küssen möchte, bevor der 7 Uhr 31 nach Dortmund abfährt, der nimmt ein Taxi.

Die Bahn hat meine Sprache entführt und ich will sie zurück. Andere Unternehmen haben das natürlich auch schon versucht – Telekom et al. –, aber unter der Bahn leide ich am meisten. Was wollen sie mir mit ihrem Englisch (oder „BSE“ – Bad Simple English) eigentlich sagen? Dass die DB ein Global Player ist? Dass die Mitarbeiter in der Lage sind, den des Deutschen nicht Mächtigen zu helfen? Beides trifft nicht zu. Trotz der Pauken und Trompeten, mit denen das Mehdorn-Orchester in der Vorprivatierungsphase viel Lärm gemacht hat, genießt das Unternehmen international kaum Einfluss. Überall in Europa beschwert man sich über die Züge, aber die Deutschen scheinen am unzufriedensten zu sein. Vielleicht, weil sie das Gefühl haben, dass eine nationale Institution zerfällt. Im „Schwarzbuch Bahn“ steht, dass die Zugführer in Flaschen pinkeln müssen, weil sie keine Pausen mehr haben, um ja pünktlich anzukommen. Ein Beispiel für „Piss and Ride“.

Das Bahn-Englisch ist nicht einfach nur ein Witz, der absurde Versuch, Vernetzung herzustellen, sondern ein Instrument der Macht. Teil eines Systems, dass den Kunden vorschreibt, was sie zu tun haben, weil es über eine Monopolstellung verfügt. Sie verstehen das Tarifsystem nicht? Zahlen Sie einfach. Sie wollen lieber von einem Menschen bedient werden? Pech gehabt. Jedes Unternehmen, vor allem aber Monopolisten, sollten einmal im Monat mit den Kunden zusammentreffen: Machen wir das richtig?

Welche absurden Ausmaße die Verweigerung, mit den Kunden in einen Dialog zu treten, angenommen hat, zeigte sich, als der Zug zum Flughafen Schönefeld dort nicht hielt. Der Zugführer wollte nicht zu spät in Königs Wusterhausen ankommen. In einem solchen Moment braucht man Mitarbeiter, die auf Englisch erklären können, warum die Reisenden ihre Flugverbindungen verpassen, damit der Zug pünktlich ankommt. Bald werden die Touristen mit dem RB 22 vom Flughafen zur Friedrichstraße fahren können – über Potsdam und Golm.

Und das ist die zweite gute Nachricht: Golm (Einwohnerzahl: 2474) bekommt endlich den Respekt, den es verdient. Gut, die Reise auf dem Außenring dauert eine Stunde und ist eine außergewöhnliche Safari entlang den Fransen der Stadt. Aber vielleicht wird es einen Zugbegleiter geben, der Englisch spricht und auf die bedeutendsten Sehenswürdigkeiten Golms hinweisen kann – mir fällt spontan die Havelland-Kaserne ein. Und vielleicht kann er dann auch gleich erklären, warum die Deutsche Bahn sich nicht in der Lage sah, mit den Planern des Flughafens BBI zusammenzuarbeiten. Hoffen wir, für den Lokführer, dass der Zug wenigstens über eine Mitarbeitertoilette verfügt.

Aus dem Englischen von Moritz Schuller.

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