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My BERLIN: Frankies Gang überlebt den Sommer nicht lange

Mit deutschen Politikern kann man kein Kompetenzteam mehr bestücken: Die großen Volksparteien sind ausgebrannt.

Ich war acht Jahre alt, als ich zum ersten Mal Mitglied einer Gang wurde. Nicht eine Gang wie die aus der Bronx oder dem Neuköllner Niemandsland, keine Messer oder Tattoos, nur eine Gruppe von Freunden, die ihre eigene Geheimsprache hatte, zusammen die Mädchen am Pferdeschwanz zog und die Hausaufgaben voneinander abschrieb. Für einen kleinen Jungen gibt es nichts Größeres, als von anderen kleinen Jungs aufgenommen zu werden. Die Erfahrung bleibt fürs ganze Leben: Kein Wunder, dass schlechte Filme wie „Ocean’s Eleven“ erfolgreich sind. Sie rühren an etwas ganz Ursprüngliches.

Und nun hat auch Steinmeier seine Gang, Frankie’s Eleven. Die meisten sind zwar keine Jungs, sondern Mädchen, sie tragen aber alle Hosenanzüge. Dennoch eine gute Idee: denn Führungsstärke wird gemessen an der Fähigkeit, Menschen beurteilen zu können. Wer attraktive, interessante Leute in seiner Gang hat, sieht selbst gut aus. Und wenn die SPD jemanden so Jungen und Talentierten wie Manuela Schwesig überreden kann, in das „Kompetenzteam“ einzusteigen, dann kann es um sie nicht so schlecht stehen. Sie hat eine Zukunft, ergo die Partei hat eine Zukunft. Das werden die Wahlkampfmanager Frank-Walter Steinmeier erzählt haben. Die Wahrheit ist, dass Frau Schwesig gerade als Kellnerin auf der Titanic angeheuert hat. Frankie’s Eleven wird den Sommer nicht lange überleben; das Team wird nicht den Kern einer zukünftigen sozialdemokratischen Regierung bilden, weil die Zeit der SPD als Regierungspartei erst mal abgelaufen ist. Und noch so viele Hosenanzüge und junge Gesichter können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Frank-Walter Steinmeier pathologisch langweilig ist. Nett, vermute ich, in einer ostwestfälischen Art, aber langweilig.

In das Kompetenzteam ist also ein Selbstzerstörungsmechanismus eingebaut. Das heißt aber nicht, dass es grundsätzlich kein gutes Konzept wäre. Man stelle sich vor, alle politischen Entscheidungsprozesse liefen so ab: Eine Gruppe brillanter Menschen reist überallhin, wie die Familie in „Bonanza“, oder wie Robin Hood und seine Getreuen, oder König Artus und seiner Ritter. Man könnte in Europa die beweglichsten und interessantesten Politiker zusammensammeln, den Schweden Carl Bildt zum Beispiel, oder die äußerst kluge dänische Umweltministerin Connie Hedegaard. Es ist ein Vergnügen, den beiden beim Reden zuzuhören – ganze Sätze, inhaltsreich, klar formuliert. Radek Sikorski, der polnische Außenminister, könnte auch Teil der Gang werden – allein schon, weil er der einzige Politiker ist, den ich kenne, der auf einem Pferd durch die Berge Afghanistans geritten ist –, und als eine Art Zukunftsminister gefiele mir der Schnellsprecher und britische Außenminister David Miliband. Die Franzosen verfügen auch über Minister von internationalem Kaliber: der faszinierende Bernard Kouchner (wer in Europa hat solche Leidenschaft?) und Patrick Devedjian, der Konjunkturminister.

In diesem „Dream-Team“ ist, es wird Ihnen aufgefallen sein, kein Deutscher. Der Grund: Die Sozialdemokraten, seit 1998 an der Macht, sind ausgebrannt. Und ihre tiefe Erschöpfung zieht die CDU mit hinab, obwohl die erst vier Jahre an der Macht ist. Die Globalisierung beschleunigt alles und lässt das langsame politische System Deutschlands überwältigt und erschlagen zurück. Rot-Grün ist mit Elan gestartet, aber wurde schon bald in ferne Kriege hineingezogen, Kosovo, dann der 11. September und die emotionale Anstrengung, sich aus dem Irak herauszuhalten, schließlich die niederdrückenden Details einer Reform, die keiner wollte.

Unter Merkel gab es auch etwas Elan, bis kurz nach der Weltmeisterschaft. Dann kam die Bankenkrise. Nachtschichten, Ringe unter den Augen, Ziellosigkeit in einer aus den Fugen geratenen Welt. Der politischen Klasse dieses Landes merkt man eine gewisse Hilflosigkeit an. Zu Recht oder zu Unrecht sehen die Wähler in der großen Koalition eine der Mittelmäßigkeit. Das neue Gesicht, Karl Theodor zu Guttenberg – warum sieht er immer aus, als wäre er gerade aus der Dusche gekommen? –, ist wichtig für die Kanzlerin, weil sie durch ihn tun kann, als ob nur die SPD ausgebrannt sei.

Doch in Wahrheit haben beide Volksparteien abgewirtschaftet. Sie haben uns (und auch einander) nichts mehr zu sagen und wissen, dass Deutschland mit seinen neuen Schulden, der wachsenden Arbeitslosigkeit und einem Krieg, in dem echt geschossen wird, schon fast unregierbar geworden ist. Kein Wunder, dass junge, begabte Menschen nicht mehr in die Politik gehen; und dass Kompetenzteams die Wähler nicht mehr überzeugen: Je größer sie werden, desto deutlicher wird, wie dünn sie sind. Und wer wollte bei so einer Gang schon gern dabei sein?

Aus dem Englischen übersetzt von Moritz Schuller.

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