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My Berlin: Großmütterverleih ist die Rettung

Roger Boyes von "The Times" über den neuen Umgang mit den Alten. Statt sie ins Grüne abzuschieben, gibt es nun Seniorenresidenzen mitten in der Stadt. Die Briten sind den Deutschen jedoch voraus: Hier sollen Großeltern fürs Enkelhüten bezahlt werden

Ist Ihnen schon aufgefallen, dass auf dem Berliner Ku’damm die Alten inzwischen die Auto-Ausstellungsräume verdrängen? Statt wie bisher üblich die ältere Generation in begrünte Heime am Stadtrand abzuschieben – mit der fadenscheinigen Begründung, dass sie frische Luft und Vogelgezwitscher braucht –, wird sie nun für alle sichtbar zwischen Kaiser’s und Tchibo präsentiert. Die neuen Altenheime tragen vermeintlich glamouröse, aber in Wahrheit taktlose Namen wie „Diana“ (ist die nicht bei einem Autounfall umgekommen?) oder, schlimmer noch, „Phoenix“ (war der Namensgeber hier jener Schauspieler, der an einer Überdosis verreckt ist?), jedenfalls irgendetwas weit entfernt von „Seniorenresidenz“, das eben ein wenig nach Verfall klingt.

Was sich verändert hat, ist natürlich die Lage auf dem Mietmarkt. Noch nie war es so billig, am falschen Ende des Ku’damms (ab Adenauerplatz mit seinen Sexkinos und Humana-Läden) zu wohnen oder in den einst beliebten Charlottenburger Nebenstraßen. Dort gibt es Parkplätze, wenn die Kinder am Muttertag zu Besuch kommen. Aber am wichtigsten: Die Alten werden nicht mehr als getrennte Spezies gesehen. Es hat sich rausgestellt, offenbar überraschend für Stadtplaner und Immobilienentwickler, dass die Alten menschlichen Kontakt mögen, dass sie Geld haben und die einzigen Berliner sind, die derzeit bereit sind, es auch auszugeben.

Also, nix mit Oma-Baracke. Stattdessen, Barack Obama: Yes, we can! Dass die Oldies in die Innenstädte ziehen, ist der Beginn eines Machtzuwachses für die über 60- Jährigen – nicht nur als Konjunkturmaßnahme, sondern als gesellschaftliche Umorientierung.

Ausnahmsweise sind die Briten den Deutschen diesmal voraus: Die Regierung in London denkt darüber nach, Großeltern dafür zu bezahlen, dass sie auf ihre Enkel aufpassen. Angeblich spart der Staat im Moment über vier Milliarden Euro pro Jahr, weil Großeltern kostenlose Kinderbetreuung leisten. Jede vierte Familie bucht den Opa oder die Oma mindestens einmal pro Woche. Der Vorschlag beinhaltet, dass Familien 350 Euro pro Woche für Kinderbetreuung erhalten – quasi eine Steuererleichterung –, mit denen sie die Großeltern bezahlen. Das Ergebnis: eine Masse an hilfsbereiten Alten und Mütter, die wieder arbeiten gehen können.

Der Vorschlag hat ein paar Probleme. Das erste, klar: Wie will sich der Staat, der gerade Milliarden für die unfähigen Banker zahlt, das leisten? Zweitens, sollten sich Großeltern nicht aus Zuneigung um die Enkel kümmern statt aus finanziellen Erwägungen? Das ist nicht so leicht. In meinem vor sich hin alternden Freundeskreis – Jeans, die sich dehnen; Luftgitarrenspiel à la Hendrix nach Alkoholgenuss; die anschwellende Angst vor Haarverlust – ist das Interesse an Enkeln nicht besonders ausgeprägt. Natürlich ist man stolz und zieht Fotos mit pummeligen Normalo-Babys schneller aus der Brieftasche als Lucky Luke seinen Colt aus dem Holster. An Geburtstage denkt man und feiert mit, auch wenn die meisten jungen Opas, die ich kenne, dann auf dem Balkon stehen, fernab vom Kindergeschrei, aber mit einer Marlboro im Mund. Echte Kinderversorgung, regelmäßig, vertraut und zuverlässig , findet eher aus Pflichtbewusstsein denn aus Enthusiasmus statt. Großeltern haben oft das Gefühl, als Eltern versagt zu haben, und wollen in der nächsten Generation alles besser machen. Aber konfrontiert mit der Realität einer stinkenden Windel, hissen sie die weiße Fahne.

Geld verändert diese Situation. Aktive Großelterei wird dann Teil eines Vertrages. Der alte Streit zwischen Großmutter und erwachsener Tochter darüber, wie man ein Kind erzieht, verschwindet. Die Macht liegt dann bei der Mutter, die im Zweifelsfall die Oma feuern kann. Enkel werden weniger verwöhnt. Und Oma und Opa werden sich weniger ausgenutzt fühlen. Der Austausch von Geld vergiftet bisweilen Beziehungen; in diesem Fall würde er Klarheit schaffen.

Seit Jahren behaupte ich, dass das Zeitalter des Au-pair zu Ende ist. Arbeitende Eltern spielen Roulette, wenn sie ihre Kinder Teenagern überlassen, die schlecht Deutsch und nicht kochen können und sich nicht ums Kind kümmern, weil sie ständig eine SMS verschicken müssen. Großeltern haben vielleicht veraltete Ideen und können auch nicht im Park Fußball spielen, aber sie haben keine Essstörung. Sie wissen, wann ein Kind krank ist oder nur so tut. Sie kennen den Unterschied zwischen einem Big Mac und einer selbstgemachten Suppe.

Nicht jeder hat eine Großmutter, die bereit und in der Lage ist, Kinder zu betreuen – aber die Stadt ist voll von Großmüttern. Was zählt, ist Erfahrung, nicht Verwandtschaft. Großmütterverleih: Das ist die Zukunft.

Aus dem Englischen übersetzt von Moritz Schuller.

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