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My BERLIN: Kopf hoch, Hut auf!

Ich habe meinen Hut verloren. Ein knochenkalte Windböe riss ihn mir vom Kopf, als ich die Hauptstraße von Reykjavik entlangschlenderte und er purzelte in Richtung Hafen, mir immer wieder entwischend, bis ihn schließlich ein großer, dreckiger Laster packte und zerdrückte.

Ich war ausgesprochen betrübt, nicht nur, weil sich mein Kopf plötzlich anfühlte, als sei er in Armin Meiwes’ Tiefkühler gelandet, als Snack für einen zukünftigen Fernsehabend. Der Hut war zu einem Schutzschild in Zeiten der Krise geworden. Warum erwirbt man im 21. Jahrhundert einen Hut? Nicht aus Eitelkeit, sondern um zu verhindern, dass einem der Himmel auf den Kopf fällt. Das ist ohne Zweifel die Logik, die hinter der jüdischen Kippa steckt: Sie soll die Furcht vor Gott demonstrieren. Die göttliche Präsenz über dem Kopf. Ich bin kein Kippa- Typ, auf meinen Kopf passt eher ein Fedora-Hut, wie der, den ich verloren habe.

In Berlin einen solchen Hut zu finden, war nicht einfach. Anfang 2008 hatte ich eine Ahnung, dass etwas Schreckliches passieren würde und ich schnell einen Hut brauchen würde. Aber gelang es mir, in Deutschlands Hauptstadt eine entsprechende Kopfbedeckung zu finden? Nein. Die Hutmacher-Tradition der Stadt war jüdisch und die größten Talente dieses Handwerks landeten in den Lagern oder in Paris und London. Es gab in der jüngeren Vergangenheit einige Versuche, den Berliner Hut wieder zum Leben zu erwecken – Fiona Bennett in der Großen Hamburger Straße –, aber es ist ein schwieriges Geschäftsmodell in einer Stadt, in der die meisten Männer Köpfe haben, die wie Blumenkohl geformt sind. Das ist ein rezessives preußisches Gen, wie man sofort feststellt, wenn man sich einmal am Großen Stern umschaut. Nur eine Statue eines modernen Helden in Berlin präsentiert die Person mit Hut: Konrad Adenauer, der wirkt, als fliehe er vor dem Sarah-Young-Erotik-Laden am Adenauerplatz, mit dem Hut in der Hand, nur für den Fall, dass er sich verhüllen muss. Aber Adenauer war Rheinländer und für mich als Vorbild ungeeignet.

Nachdem meine Versuche gescheitert waren, in Berlin einen krisensicheren Fedora zu erwerben, ging ich zu dem alten Hutmacher meines Vaters in St James, London. Das war der Hut, den ich gerade in Island verloren habe, ein reizendes Land, das gerade pleite- geht wegen Gier, Schulden und dem Zorn der Wikinger-Götter. Der Verkäufer in St James – der Laden trägt den Namen „John Lock“, aber niemand nennt es einen Laden, das wäre viel zu vulgär – sagte mir, dass das Geschäft mit Hüten ausgezeichnet laufe. Der englische Gentleman geht zum Hutmacher, nicht nur, wenn er Fasane schießen will oder Krieg führen (Admiral Nelson, der die Franzosen bei Trafalgar verdroschen hat, war ein regelmäßiger Kunde), sondern um sein Vertrauen in die alte Welt zum Ausdruck zu bringen. Anfang 2008 kauften die Engländer Hüte in einem atavistischen Reflex auf die fallenden Immobilienpreise. Aber John Lock kennt noch ganz andere Hut- Boom-Zeiten: während der Wirtschaftskrise in den 20ern, in Kriegszeiten (Schwarzmarkthändler lieben Hüte). Im Dreck wühlende Journalisten sind Hut-Menschen, sie schieben ihn sich tief in den Nacken. Heute tragen Journalisten Baseballmützen, trinken Starbucks-Kaffee und sitzen vor Computerschirmen. Der Verkäufer bei John Lock war ein wenig verwundert, dass er einen Journalisten als Kunden hatte. Und er wird enttäuscht sein, dass mir sein Hut in einem subpolaren Sturm abhanden gekommen ist. Das wird ihn sicher in seiner Annahme bestätigen, dass Journalisten keine echten Gentlemen sind, also unfähig, ihren Kopf anständig zu bedecken.

Gleichwohl werde ich ihm nächste Woche einen erneuten Besuch abstatten. Denn er hat mir schließlich beigebracht, wie man einen Hut korrekt trägt: Man zieht die Krempe so weit runter, dass das halbe Gesicht verdeckt ist. Weibliche Hut-Träger wissen das schon lange, es ist Teil ihrer Flirtstrategie. Hüte trägt man nicht nur, um dünner werdendes Haar zu verdecken, sie sollen auch die Augen betonen. Und natürlich haben Hüte etwas mit Haltung und Benehmen zu tun. Das ist der wahre Grund, warum man in der Rezession einen Hut braucht: Plötzlich ist nichts so wichtig wie das physische Vorgaukeln von Wohlbefinden. Wenn die eigenen Aktien fallen, wenn der Job wackelt, wenn die Bank einen als Feind behandelt, dann ist es die Zeit für bella figura. Ein Hut zwingt einen, das Rückgrat gerade zu halten. Also: Kopf hoch!

Aus dem Englischen übersetzt von Moritz Schuller.

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