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Bei seinem Deutschland-Besuch im September 2011 traf der Papst auch Protestanten.

© dpa

Nach Benedikt: Mut zur Freiheit für Katholiken und Protestanten

Weil Papst Benedikt ein Deutscher an der Spitze des Vatikans war, hofften viele Protestanten auf eine Annäherung mit der katholischen Kirche. Doch diese Hoffnung wurde enttäuscht, viele von ihnen erlebten Benedikts Pontifikat als eine Abfolge von immer neuen Kränkungen. Sein Rücktritt könnte das Verhältnis wieder entspannen.

Joseph Ratzinger spricht Deutsch und hat sich in seinem Leben viel mit dem Protestantismus auseinandergesetzt.  Nicht wenige Protestanten hatten daraus abgeleitet, er als Papst würde sie verstehen und hatten erwartet, mit ihm an der Spitze der katholischen Kirche könne sich die Distanz zwischen den beiden Kirchen in eine neue Nähe verwandeln. Doch das war ein großes Missverständnis. Und so erlebten viele Evangelische das Pontifikat als eine Abfolge von immer neuen Erwartungen und immer neuen Kränkungen. Den Höhepunkt des leidvollen Wechselspiels konnte man im September 2011 beobachten, als sich der Papst und die Leitungsgremien der evangelischen Kirche in Erfurt trafen. Benedikt hatte sich das Augustinerkloster als Ort der Begegnung gewünscht. Dort hatte Martin Luther gewirkt, der in katholischen Kreisen bis heute als Kirchenspalter gilt. Die Hoffnung, der Papst würde ihn nach 500 Jahren rehabilitieren, weckte bei den Protestanten einen regelrechten Erwartungsstau. Was der Papst ihnen dann tatsächlich zu sagen hatte, war mehr als ernüchternd.

Der nächste Papst wird wohl kaum aus Deutschland kommen. Die Gefahr, dass sich die Protestanten wieder allzu große Hoffnungen machen, dürfte gering sein. Das könnte zur Entkrampfung des Verhältnisses beitragen. Außerdem: Brauchen evangelische Christen wirklich den Mann in Rom, um sich ernst genommen zu fühlen? Muss erst der Papst das Reformationsjubiläum 2017 gutheißen, damit die evangelische Kirche weiß, was sie an Martin Luther hat? Wo bleibt das protestantische Selbstbewusstsein?

Zugleich wird die katholische Kirche demütiger werden. Sie wird sich zumindest in Deutschland von ihrem Sonderstatus verabschieden müssen, den sie über Jahrhunderte für sich reklamierte. Denn die Individualisierung macht vor den Kirchentüren nicht halt. Längst basteln sich die Menschen, auch die Katholiken, ihren Glauben selbst aus Zutaten zusammen, die sie auf dem spirituellen Markt finden. Die Kirchen werden dort über kurz oder lang nur mehr zwei Anbieter unter vielen sein. Das führt zu dramatischen Veränderungsprozessen in den kirchlichen Institutionen.

Viele derjenigen, die in der Volkskirche groß geworden sind und sich dort zu Hause fühlen wollen, nehmen diesen Prozess als Abbruch und als Verlust wahr. Die Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland wies kürzlich darauf hin, dass sich die Mitglieder beider Kirchen darin doch wieder nahe seien und sprach von einer „Ökumene der Melancholie“. Bei der Melancholie muss es nicht bleiben. Im Gegenteil: Dass die Institutionen bröckeln, könnte der Beziehung zwischen Protestanten und Katholiken neuen Auftrieb geben – nicht der auf den offiziellen Papieren, aber der gelebten Beziehung. Auf die kommt es an.

Ein neuer Papst, der womöglich aus Lateinamerika oder Afrika stammt, hat vermutlich wenig Sinn für spezifisch deutsche Befindlichkeiten. Er hat die Weltkirche im Blick. Die Protestanten können sich nun also getrost von Rom abwenden und sich neu auf Luther besinnen. Er hat einem jeden Christenmenschen die Freiheit und Verantwortung anempfohlen, selbst einen Weg zu Gott zu suchen, jenseits der weltlichen Autoritäten und Institutionen. Könnte gut sein, dass auch die deutschen Katholiken künftig mehr Mut finden, ihren eigenen Weg zu gehen und dem Evangelischen, das sie so geprägt hat wie nirgendwo sonst auf der Welt, mehr Raum zu geben. Warum noch lange auf die Direktive aus der Zentrale warten?

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