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In Schottland haben die Bürger zwar gegen eine Unabhängigkeit gestimmt. Doch damit sind die separatistischen Tendenzen in Europa noch nicht gebannt.

© dpa

Nach dem Schottland-Referendum: Brüssel darf den Separatisten nicht länger zusehen

Die Europäische Union basiert auf der territorialen Integrität ihrer Mitgliedstaaten. Doch bisher setzen die EU-Institutionen separatistischen Bestrebungen nur wenig entgegen. Dies muss sich dringend ändern, meint Sabine Riedel. Ein Kommentar.

Eine schottische Unabhängigkeit ist vorerst abgewendet, doch das Referendum hat sehr deutlich gemacht, dass separatistische Bestrebungen mit hohen Risiken verbunden sind. Eine Scheidung hätte sowohl Schottland als auch dem Rest des Vereinigten Königreichs Schaden zugefügt, denn die Wirtschaft ist im Verlauf der letzten Jahrhunderte aufs Engste zusammengewachsen. Allein die Ankündigung eines Teils der Unternehmen und Finanzinstitute, ihre Standorte im Falle einer Unabhängigkeit aus Schottland abzuziehen, ließ den Kurs des britischen Pfunds einbrechen. Erst wenige Tage vor der Abstimmung ist den Schotten bewusst geworden, in welche Turbulenzen sie die gesamte Insel mit einem mehrheitlichen Ja bringen würden. Der britische Finanzminister George Osborne hatte sie auf den Widerspruch hingewiesen: Sie könnten nicht aus der politischen Union austreten und gleichzeitig im Währungsraum des Pfunds verbleiben. So hätte sich Edinburgh währungspolitisch isoliert und damit auch den internationalen Finanzstandort London in Gefahr gebracht.

Angesichts dieses Szenarios bleibt es ein Rätsel, warum sich die EU-Institutionen vor dem Referendum mit Stellungnahmen zurückhielten. Im Falle eines Austritts aus dem Vereinigten Königreich hätten doch auch sie Schottland verloren. Dies wäre die aktuelle Rechtslage und nicht zuletzt für die proeuropäischen Schotten eine bittere Pille gewesen. Was ist also aus der Integrationskraft Europas geworden, wenn deren Politiker zuschauen, wie sich Großbritannien als eines der größten EU-Mitgliedstaaten aufzulösen droht? Dabei war es die EU, die eine Dezentralisierung Großbritanniens in den 1990er Jahren angestoßen hatte. Allein deshalb müsste sich Brüssel verantwortlich fühlen, wenn diese Regionalisierung heute von Separatisten in Dienst genommen wird. Warum haben die übrigen Länder keine Vermittlungsversuche unternommen, als ihr zweitstärkster Nettozahler in existentielle Bedrängnis geriet? Haben sich die Europapolitiker etwa auf die Bewältigung der Eurokrise zurückgezogen, so dass sie sich um das Schicksal anderer Währungsräume nicht mehr kümmern?

Sezessionistische Bestrebungen bleiben aktuell

Auch nach dem Schottlandreferendum haben die EU-Mitgliedstaaten keinen Grund, sich zurückzulehnen. Denn trotz des klaren Votums der Schotten sind sezessionistische Forderungen nicht vom Tisch: In Nordirland hatten sich Separatisten und Unionisten mit Edinburgh solidarisiert und für das Jahr 2016 ihrerseits ein Referendum geplant. Sollte es tatsächlich zustande kommen, wäre London gut beraten, sich dieses Mal auf keine Vereinbarung einzulassen, die einer Unabhängigkeit Nordirlands den entscheidenden rechtlichen Rahmen verleihen würde. Stattdessen sollte über die Legitimität derartiger Abstimmungen diskutiert werden: Entspricht es demokratischen Regeln, wenn nur ein Bruchteil der Bevölkerung über das Schicksal des gesamten Landes entscheidet?

Aber nicht nur das Vereinigte Königreich ist von Abspaltungstendenzen betroffen, auch Spanien steht ein Referendum ins Haus: am 9. November 2014 möchten die Katalanen über ihre Unabhängigkeit abstimmen. Nach einem Urteil des spanischen Verfassungsgerichts allerdings darf Katalonien als Autonome Gemeinschaft eine solche Abstimmung nicht einseitig ansetzen. Damit sind Madrid politisch die Hände gebunden, so dass es nicht etwa dem britischen Beispiel folgen und über einen Kompromiss verhandeln kann. So bahnt sich ein brisanter Konflikt an, der sich infolge eines Verbots des Referendums oder einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung gewaltsam zuspitzen könnte. In diesem Falle wäre erstmalig die Eurozone vom Separatismus betroffen, deren Mitgliedstaaten sich darüber offenbar noch keinerlei Gedanken gemacht haben.

Die EU muss sich dem Separatismus stellen

Eine Vorsorge wäre jedoch dringend nötig, schließlich ermahnte noch die scheidende EU-Kommissarin Viviane Reding die Katalanen: "Wenige Sekunden nach einer Entscheidung für die Unabhängigkeit würde Katalonien nicht mehr zur Union gehören." Da Katalonien etwa mit einem Fünftel zum Bruttoinlandsprodukt des Gesamtstaats beiträgt, wären die Folgen einer Trennung für die spanische Wirtschaft katastrophal. In der Folge könnte sich die Wirtschaftskrise in Spanien verschärfen und alle bisherigen Maßnahmen zur Euro-Rettung zunichte machen. Im schlimmsten Falle sähen die europäischen Steuerzahler ihre 40 Milliarden Euro Hilfsgelder nicht mehr wieder. Es ist insofern an der Zeit für Brüssel, Antworten auf den Separatismus zu finden.

Zunächst wäre es geboten, eine Debatte über das gemeinsame Demokratie-Verständnis zu initiierten. Dies ist nötig angesichts der Tatsache, dass nur 1,7 Millionen schottische Ja-Stimmen ausgereicht hätten, das wirtschaftliche und soziale Gefüge von 63 Millionen Briten auf den Kopf zu stellen. Die Legitimation für eine staatliche Trennung aber sollte sich nicht auf den Willen einer Minderheit stützen können, schließlich müssen dafür alle tief in die Tasche greifen. Des Weiteren muss diskutiert werden, mit welchem Recht separatistische Regionalparteien Anspruch auf die europäische Solidarität erheben, wenn sie sich selbst aus ihrer nationalen Verantwortung und Solidarität zurückziehen. Warum weichen gerade sie einer vorwärtsweisenden Föderalismusreform aus, die für einen Ausgleich zwischen den Regionen sorgen und Defizite beheben will? Hat der Separatismus eine europäische Politik zur Stärkung regionaler Selbstverwaltungen eigennützig zweckentfremdet?

Die EU-Mitgliedstaaten bilden das Rückgrat der Europäischen Union, und es ist laut Unionsvertrag die Pflicht von Parlament und Kommission, deren territoriale Unversehrtheit zu schützen. Dieser Aufgabe müssen sie sich stellen.

Prof. Dr. Sabine Riedel forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zur politischen Kultur Europas und lehrt Politikwissenschaft an der Universität Magdeburg. Im Oktober 2014 erscheint ihr Buch »Die kulturelle Zukunft Europas. Demokratien in Zeiten globaler Umbrüche« im VS-Verlag, Wiesbaden 2014. Die SWP berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Artikel erscheint auf der SWP-Homepage in der Rubrik Kurz gesagt.

Sabine Riedel

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