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Nach Hamburg: Kleine politische Erweckung

Die Politik in der Bundesrepublik ist am Anfang des großen Wahljahrs in einer Phase der Unruhe und der Reizbarkeit. Da ist es ein gutes Zeichen, wenn das nüchterne politische Handwerk und die Versicherung verlässlicher Regierungsarbeit von den Wählern honoriert werden.

Ein Wochenende – und schon bietet die politische Welt der Bundesrepublik ein anderes Bild. Ein braver Parteiarbeiter, kein Erfolgstyp, gewinnt eine Wahl mit sensationeller, absoluter Mehrheit. Zwei Ministerpräsidenten, bodenständige ältere Herren, fernab von allem Glamour, bugsieren den Hartz-IV-Karren aus der Sackgasse heraus, in der er dank der unversöhnlichen Berliner Politikprominenz seit Wochen steckte. Und der junge Strahlemann, den alle schon unaufhaltsam auf dem Weg in die höchsten Höhen der Politik sahen, befindet sich im Sturzflug.

Was ist da geschehen? Wird mit einem Mal der solide Pragmatismus, die spröde Sachlichkeit als politische Leitwährung entdeckt? Immerhin, ein kleines politisches Erweckungserlebnis ereignet sich schon, gerade im Lichte des anhaltenden Flackerns unserer politischen Supernova. Olaf Scholz’ spektakulärer Wahlsieg ist der Triumph unspektakulären Auftretens und Agierens, ja, der bewusst eingesetzten Entsagung in Sachen große Versprechungen und scharfe Polemik. Und es ist ein Signal, dass es Länder, also die untere Ebene der Bundesstaatlichkeit, waren, die den Streit von der politischen Königsebene, auf der sich die Bundespolitiker in ihrem Profilierungsehrgeiz verfangen hatten, auf den Boden vernünftigen Aushandelns zurückholten.

Geht so Politik? Geht Politik auch so? Die Frage stellt sich, nachdem die mediale Durchdringung sie zur Beute der Bilderstrecken und Event-Inszenierung gemacht hat.Das Bedürfnis nach Charisma und personaler Performanz, das da wuchert, hat den fränkischen Edelmann in seine Rolle hineinwachsen lassen. Wurde Karl-Theodor zu Guttenberg nicht zur Projektionsfläche für alle Wünsche und Sehnsüchte nach Führung und Entscheidungsfähigkeit, die die Politik nicht befriedigt? Teile der Öffentlichkeit haben sich deshalb an ihm und seinen Auftritten schier besoffengesehen.

Aber Politik hat eben auch die Dimension der nüchternen Arbeit in Regierungen, Parlamenten und Verwaltungen, die die Staatsmaschine am Laufen halten. Es ist die Sphäre der Pragmatiker, deren Adelsprädikat das Etikett des „alten Fuhrmanns“ ist. Langweilig? Glanzlos? Es ist die Kärrnerarbeit, ohne die nichts geht. Am Wochenende hatte sie, in Hamburg und Berlin, ihre Stunde.

Die Politik in der Bundesrepublik ist am Anfang des großen Wahljahrs in einer Phase der Unruhe und der Reizbarkeit. Da ist es ein gutes Zeichen, wenn das nüchterne politische Handwerk und die Versicherung verlässlicher Regierungsarbeit von den Wählern honoriert werden. Und wenn im föderalen Unterbau des Staates mit seiner Verbindung von Politik und Verwaltung die Lösungen gefunden werden, an denen der polarisierende Wettstreit der Parteien auf der Bundesebene scheitert. Vielleicht hat der Typus des Politikers, der dort seine Aufgabe sieht, am Ende mehr Zukunft als die Zunft der Taktiker und Strippenzieher.

Gewiss, ein Paradigmenwechsel ist nicht in Sicht. Auch ist nicht sicher, dass sich aus Hamburg für Berlin so viel lernen lässt – die schöne Hansestadt ist, wahrhaftig, ein besonderes Pflaster, und die Länder sind selbst parteipolitisch so imprägniert, dass der politische Betrieb auch am Föderalismus nicht genesen wird. Aber eine Wendung zu mehr nüchterner Sachlichkeit, zur Orientierung an Mitte und Konsensus könnte der Politik in der Bundesrepublik nur guttun. Erfolge verspricht sie den Politikern und den Parteien, die auf sie setzen, auch. Wie man gerade gut sieht.

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